Samstag, 4. Juli 2009

Alterssicherung für Antiquare - die Handbibliothek?




Während das einzige Thema, das die Antiquare heute interessieren sollte, nämlich der ILAB-Prolibri-Skandal, eisern verhehlt und vermauschelt wird, in der Hoffnung, daß das keiner merkt und der Deckel über dem wild kochenden Topf gehalten werden könne, unterhalten sich die werten Kollegen im Twitter über Sinn und Wert der Handbibliothek des Antiquars, besonders im Hinblick auf seine, des Altbuchhändlers, Alterssicherung.

Immerhin eine interessante Frage. Da sollten wir näher hinsehen.


1.
Bibliographische Werke jeder Art sind Teil eines der beliebtesten Sammelgebiete im Antiquariat, "Buchwesen", die Kundennachfrage ist hoch, die Preise bleiben zur Zeit mindestens stabil. Das gilt auch für solche Titel und Reihen, die bereits im Internet greifbar sind.

In der Tagespraxis erweist sich nämlich schnell, daß die Nutzung digitalisierter Quellen zur praktischen bibliographischen Arbeit äußerst mühsam und unpraktisch ist. Die Umsetzung digitalisierter Titel (wer von "Digitalisat" spricht, den kanne ich nicht mehr) in CD-Rom oder entsprechende Festplattenformate ermöglicht nämlich oft erst ihre komfortable Nutzung, das ist aber technisch kniffelig, keiner kanns richtig.

Die hier schon öfter aufs Schärfste angeprangerte Praxis gewisser Dokumentationsverlage, auch öffentlich geförderte bibliographische Werke zu Apothekenpreisen zu verhökern, hat doch den Vorteil, daß auf diese (für das Antiquariat freilich schädliche) Weise das allgemeine Preisniveau für bibliographische Titel "gefühlt" hoch bleibt.

2.
Aber schon mittelfristig, rechnen wir da mit 3-5 Jahren, kann sich die Benutzungsqualität digitalisierter Titel sehr schnell verbessern. Dann ist die teure Serie, etwa aufgrund von Sammelabkommen zwischen Google und den Verlegern, auf einmal anstatt für 500 Euro - - als CD für 20 Euro zu haben. Das geht wies Bretzelbacken.

Die Entwicklung bei den modernen Lexika zeigt uns, wie fürchterlich schnell das gehen kann.

Diese Erwägung läßt uns ausdrücklich warnen vor der Erwartung, man könne mit einer stabilen Wertentwickung im Bereich "bibliographische Titel" rechnen. Denn bibliographische Werke sind das ganz typische Beispiel einer durch Digitalisierung in nächster Zeit hochgefährdeten Buchart.

3.
Dazu kommt ein weiterer, meist vergessener Gesichtspunkt. Aktivitäten wie die von Tante Google machen oftmals bestehende, bewährte bibliographische Werke durch ihre neuartige, bessere, umfassendere Nutzbarkeit, Struktur, den Anspruch, die Arbeitstechnik - überflüssig. Wir werden durch ein ausgebautes Worldcat-Google-System sowohl die Allgemein- wie auch die meisten Fachbibliographien bald den Berghang hinunter kippen können. Es ist dann nur noch eine Sache der richtigen "Abfrage", um auf die alten Teil- und Fachbibliographien verzichten zu können.

4.
Dies alles gilt nur für ausgesprochen bibliographische Werke. Soweit es sich um kommentierte Bibliographien handelt, bleibt natürlich die alte hohe Wertschätzung erhalten. Aber auch da muß ein warnendes Fragezeichen angebracht werden: Die unverschämte Preispolitik mancher Verleger beim Verhökern öffentlich geförderter Arbeiten kann zusammenbrechen wie eine Seifenblase. Serien wie das inhaltlich ganz exzellente, preispolitisch aber dümmlich zu Apothekenpreisen vertriebene Imprimatur-Jahrbuch werden mit einiger Sicherheit auf ihren wahren Marktwert, den sehr guter Fachtitel, heruntergeführt werden.

Dies alles führt den Antiquar insgesamt zu folgender Feststellung:

a) wir räumen der Fachbibliothek keinen Sonderstatus als "gute Alterssicherung" mehr ein, da sie mehreren hochgefährlichen Abwertungstendenzen unterliegt,

b) wir bewerten diejenigen Titel aus der Handbibliothek, die wir einem Fachgebiet zuordnen können, ähnlich wie die anderen Titel des betreffenden Fachgebiets. Bewertungs- und alterssicherungsmäßig existiert der Sonder-Posten "Handbibliothek" für uns also nicht mehr.

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Die Frage der Alterssicherung für den Antiquar bedarf längerer Ausführungen.

1.
Der Begriff des "seltenen Buchs", die Vorstellung also, ein Titel sei einfach wegen seiner Seltenheit schon wertvoll oder könne doch wertvoll werden, gilt nicht mehr. Man kann das nicht deutlich genug sagen. Einmal wegen der Digitalisierung, dann aber, und dies ist wichtiger, wegen der jetzigen und kommenden Verschiebung der Sammelgebiete.

Wissen wir, was in 10 Jahren gesammelt wird? Wir können aus der heutigen Beliebtheit der Gebiete hübsche Extrapolationen in die Zukunft anstellen, aber das ist hochgefährlich. Ich traue mir ein Werweissen darüber einfach nicht zu.

2.
Der Begriff des "teuren Buchs" ist ein besserer Anhalt für die Zukunft, unterliegt freilich auch den kommenden Moden anderer, neuer oder abgelegter Sammelgebiete. Immerhin wird man nichts falsch machen, wenn man eine recht vielfältige Mischung heute (noch?) beliebter Sammelgebiete im hochpreisigen Sektor sich anlegt. Der richtige "Mix" ist da aber ganz wichtig, also nicht unähnlich der klassischen Kapitalanlage.

3.
Internatiional gehandelte Spitzenstücke sind leider ebenfalls nicht ohne Zukunftsrisiko, denn da treten die tückischen Gesetze des Kunstmarkts auf. Ich würde wirklich niemandem raten, seine Alterssicherung in Zimelien anzulegen.

4.
Neben der ersten Empfehlung, bessere Stücke aus (heute) gesuchten Sammelgebieten in einem breitgefächerten "Mix" sich zuzulegen, möchte ich auf eine zweite, in der Regel vergessene Möglichkeit hinweisen. Man könnte sie "viel bringt viel" nennen oder "Kleinvieh macht auch Mist".

Wir stoßen immer wieder auf Kollegen, die sehr große Lagerbestände besitzen, 50.000 Titel und mehr. Die sind im Grunde recht billig zu erwerben gewesen, da die bekannte Querfinanzierung durch teure Stücke stattgefunden hat und diese Restbestände aus der Tagesarbeit quasi "gratis" waren, auf meine 30.000 Titel trifft das auch so ähnlich zu.

Das Paradoxe liegt nun darin, daß zwar gerade dieses Unter- und Mittelfeld der Entwertung durch Digitalisiefrung besonders unterliegt, auch schlägt hier die kommende Entwertung im Altbuchmarkt generell besonders heftig zu. Aber diese Entwertung hat eine natürliche Untergrenze.

Die liegt in der Mühe, die mit der Benutzung ditigalisierter Bücher, der Herstellung von Xeroxkopien usw. verbunden ist. Wir dürfen vermuten, daß ein Ansatz von etwa 3 Euro je Buch realistisch bleibt, die üblichen Romane und abgelaufenen Nachschlagewerke natürlich ausgenommen.

Diesen Grundwert zu nutzen ist dann nur noch eine Frage der Arbeitstechnik. Dazu braucht man sehr viel Organisationssinn. Auch muß das Lagern von Büchern, das Sparen von Miete, der Umgang mit Hilfskräften "sitzen". Wem das alles aber liegt, der tut sich mit einem sehr großen Feld-, Wald-, Wiesenlager aller Gebiete als Alterssicherung, bei Ausscheidung eines Bodensatzes, etwas Gutes an.

Ich würde nicht zögern, diesen überraschend "einfachen" Weg der Alterssicherung jedem Kollegen anzuraten - der es sich zutraut.

Das Thema ist damit noch lang nicht abgehandelt. Aber jetzt muß ich mich beeilen, sonst hat eine gewisse hübsche Kaiserstühlerin ihren Marktstand am Münster schon abgebaut, bis ich komme. Und das wäre doch schade.


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