Donnerstag, 16. April 2009

Neue Zusammenarbeit Buchhandel + Antiquariat


Redakteur Biester stellt, wiederum in seinem pfiffigen "Twitter"-Dialog, die Frage:

"Anhaltender Umsatzrückgang im Sortimentsbuchhandel. Und die Antiquare? "

Wir wollen eine Beantwortung versuchen, der Übersichtlichkeit halber in knapper Thesenform. Jeder der folgenden Punkte sollte und könnte ja besser ausführlich gemeinsam diskutiert werden - hätten die Antiquare denn eine eigene Berufsvertretung oder wenigstens ein zentrales Forum.

A.
Wir dürfen davon ausgehen, daß die Beteiligten am Medium "Neu-Buch" seit Jahren ihre Kundenkreise erfaßt und ausgeschöpft haben und weiterhin optimal bearbeiten werden. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, von außen, in diesem Fall vom Antiquariat her, Verlegern und Buchhändlern Ratschläge geben zu wollen. Einige Überschneidungen bestehen zum Neubuchbereich, etwa im Modernen Antiquariat oder in Urheberrechtsfragen, dort kann man mitreden, aber nur dort.

Ganz anders aber sieht die Markterfassung und (o schreckliches Wort:) Marktdurchdringung bei unseren antiquarischen, alten Büchern aus.

Gedankenexperiment: Wir stellen uns zu guter Geschäftszeit am Ausgang einer mittelgroßen Buchhandlung auf und lassen 100 Bücherkäufer an uns vorüberziehen. Wieviele dieser Neubuchkäufer sind bereits regelmäßige Kunden auch im Buchantiquariat, wieviele haben wenigstens einmal ein altes Buch erworben, wieviele könnten es sich v o r s t e l l e n, irgendwann ein altes Buch zu kaufen?

Die Zahlen werden ziemlich erschreckend sein. Ich schätze, daß nur etwa

3 % der regelmäßigen Neubuchkäufer auch mindestens hin und wieder alte Bücher erwerben,
5 % irgendwann wenigstens ein altes Buch gekauft haben,
10 % sich vorstellen können, alte Bücher zu kaufen.

Ich gehe hier mit Absicht von den Neubuchkäufern aus, die eine Buchhandlung betreten haben; bei Neubuchkäufern im Internet sehen die Zahlen wesentlich anders aus, aber darum soll es uns hier nicht gehen.

B.
Denn die Kernfrage, die wir uns stellen, bezieht sich auf den Ladenbuchhandel.

Es wäre nicht sinnvoll, die ausgewählten 100 Neubuchkäufer am Eingang der Buchhandlung nach den G r ü n d e n zu fragen, aus denen heraus sie bisher nicht an den Erwerb antiquarischer Titel gedacht haben. Wir würden ganz falsche Antworten erhalten, denn, so meine These, die Schamschranke, die Notwendigkeit, ein Unwissen, ein Nichtvertrautsein, ein Nichteingeübthaben zugeben zu sollen, ist schier unüberwindbar. Was liegt da vor?

Die Neubuchkäufer können mit dem antiquarischen Buch nicht umgehen, weil es sich verhält wie folgt.

1) Einschätzung: überholtes, veraltetes Wissen. Der Gedanke einer retrospektiven Erfassung ihres Themas liegt ihnen ganz fern (nur das Aktuelle kann gut sein, zwar wußten unsere Großväter auch schon was, aber das ist ja dann "veraltet", nicht wahr?). Der Kunde traut sich das Übertragen, das Transponieren des alten Wissens in seine moderne Gegenwart nicht zu.

2) die bibliographischen, genauer: die retrobibliographischen Hilfsmittel sind für ihn Hekuba. Darüber darf man sich nicht wundern, geht es doch sogar gestandenen Antiquaren oft nicht anders. Seit wenigen Jahren oder sogar erst Monaten gibt es nun endlich ganz hervorragende, einfach zu bediende Hilfsmittel zur weltweiten retrospektiven Bibliographie - - die aber kaum einer kennt oder gar eingeübt hat. Google-Books, Worldcat, Digibib, KvK...

3) die Fraktur stellt ein unüberwindliches Hindernis dar. Da unsere Lehrerschaft seit 1945 auf diesem Gebiet so jämmerlich versagt hat - eine echte Schande für jeden Deutschlehrer, eine Schmach für jede Kultusverwaltung, ein Armuts- und Minderwertigkeitszeugnis für das deutsche Bildungswesen - , kann man nur pragmatisch darauf hinweisen: Nach Überwindung einer freilich mühsamen Anfangsphase liest man sich sehr schnell ein und lernt die Fraktur zu lieben. Während dieser Anfangsphase aber sammelt man Verwünschungen auf die Häupter aller Deutschlehrer, die man kennt - das wirkt befreiend.

4) das Schmuddel- und Armeleuteimage verbietet den Erwerb antiquarischer Bücher. Gerade Frauen gegenüber ist das ein sehr ernstzunehmendes Argument. Antiquare befördern solche törichten, schädlichen Haltungen noch, indem sie ihre Läden krampfhaft auf Sauberkeit und Ordnungswahn der Neubuchhandlung trimmen. Das Antiquariat ist gerade auch atmosphärisch eben keine Neubuchhandlung, darf auch nicht so wirken (aber davon ein andermal).

5) die Unsicherheit in der Preisgestaltung, etwa im ZVAB oder bei Ebay, dagegen die wohltuende Preissicherheit, die den Neubuchhandel kennzeichnet, wirkt verwirrend und qualitätsmindernd. Das Neubuch - ein edler Markenartikel // das alte Buch - ein Objekt des Feilschens und Verramschens im Istanbuler Teppichmarkt?

Dies sind nur einige der Faktoren, die v o r einer Zusammenarbeit des Neubuchhandels mit dem Antiquariat bedacht sei wollen. Das Antiquaria-Programm, dies sei in Klammern angemerkt, hat seine Meriten, scheint mir aber aus mehreren Gründen nicht ausbaufähig, ein totes Gleis.

Da ich nicht so gern mit mir allein diskutiere, deute ich nun einfach den Lösungsweg an, den ich sehe:

Der Altbuchhandel muß sich dem Neubuchhandel anpassen, nicht umgekehrt. Der Neubuchhandel ist in fast jeder Hinsicht viel bedeutender, umsatzstärker, bekannter als wir Antiquare das sind. - Wegen der Ungeübtheit des Neubuchkäufers mit den Gegenständen des Antiquariats muß das H a p t i s c h e , das in die Hand-nehmen-dürfen, das Betrachten, das Sehen ermöglicht werden - - indem die Neubuchhandlung eine Antiquariatsabteilung erhält. Auch braucht der Neubuchkunde, soll er denn auch regelmäßiger Antiquariatskunde werden, ein grundlegend reformiertes Bestell- und Liefersystem. Im Idealfall wäre das die Lieferung über ein Großhandelshaus der Antiquare, mit Bücherwagensystem. Der Antiquariatsbetrieb kann sich, wenn er sich im unteren und mittleren Buchwertbereich weitestgehend

*dem Neubuchhandel anpaßt,

konzentrieren auf die teuren, seltenen, wertvollen Stücke. Im Antiquariat erfolgt somit eine Schwerpunktverlagerung auf das

*Seltenheitsantiquariat,

wohingegen alle Gebrauchtstitel, im besten Sinne verstanden, in e n g e r Zusammenarbeit mit dem Neubuchhandel abgesetzt werden.

Daß dabei Sonderbündnisse mit dem selbständigen Ladenbuchhandel möglich sind in der gegenwärtigen Situation, das braucht ja nicht betont werden. Die Planungsarbeit aber obliegt weitgehend uns Antiquaren.

Ans Werk also!



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