Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Dienstag, 12. Mai 2009
Weshalb wir das ZVAB lieben müssen
Guten Morgen,
1.
Das mit Abstand wichtigste Argument in der Auseinandersetzung um eine Gesundung des Altbuchhandels liegt, so meine Hypothese im gestrigen Beitrag, in der Gewinnung neuer Käuferschichten aus dem Kreis der regelmäßigen Neubuchkäufer.
Wie kann das zahlenmäßig eingeschätzt werden? Definieren wir zunächst, was wir in diesem Zusammenhang unter "regelmäßiger Neubuchkäufer" (im folgenden RN) verstehen wollen. Ein RN kauft, mehrheitlich in einer Buchhandlung, teils aber auch über den Neubuchversandhandel, im Monat mindestens ein Buch, also ein Dutzend Titel im Jahr, für sich selbst. Damit grenzen wir die verbreitete Geschenkkultur im Zusammenhang mit dem Neubuch aus.
Wegen der schwierigen Definitionen sind da gesicherte Zahlen kaum zu bekommen, wir sind besser dran, wenn wir im ersten Entwurf einmal selber leisten. Zunächst fallen sehr junge und sehr alte Menschen weg, ferner sehr viele Frauen, diese vor allem wegen unserer Ausgrenzung der Geschenkbücher. Von der verbleibenden Bevölkerung, etwa 20 Millionen, fänden wir auf je 100 Menschen einen, der sich eine eigene - noch so kleine - Bibliothek aufbaut und dafür im Jahr mindestens 12 Neubücher erwirbt.
Das wären, nach Maßgabe unserer Definition, 200.000 Neubuchkäufer im Laden- und Versand-Neubuchhandel. Legen wir nun in der ganz zentralen Frage, welcher Prozentsatz der so definierten Neubuchkäufer für den Erwerb auch alter Bücher mit Erfolg zu interessieren sei, einen mittleren Maßstab an, gehen wir von 15 % aus, dann sind vom Neubuchhandel her etwa 30.000 Neubuchkäufer als Antiquariatskunden zu gewinnen.
Bei sehr vorsichtiger Einschätzung des sich aus einer solchen Anwerbung (die auch immer eine teilweise Abwerbung ist) ergebenden Kaufverhaltens wollen wir annehmen, daß diese Kunden dann etwa die Hälfte ihres Neubuchetats auf das Antiquariat umlenken, sie also mindestens 6 Altbücher im Jahr kaufen werden. Durch die Gewinnung dieser Schicht setzen wir also mindestens 180.000 Altbücher mehr um im Jahr.
Es gilt, sich das zu verdeutlichen. Setzen wir die Zahl der ganz aktiven Antiquare mit dem, was man ein "Vollsortiment" im antiquarischen Bereich nennen könnte (darüber später mehr) mit 200 Kollegen an, dann bringt das dem einzelnen Antiquar einen jährlichen Mehrumsatz von 900 Titeln, bei einem Mittelpreis je antiquarischem Buch von 16 Eur bringt das jedem Kollegen jährlich rd. 14.000 Euro Mehrumsatz.
Das sind nun realistische Zahlen, wie sehr sich die Rechnung bei genauerem Hinsehen auch verändern mag. Wir sehen schon jetzt, daß die Gewinnung dieser besonderen neuen Käuferschicht weitaus wichtiger ist als jede andere Maßnahme. Auch deshalb, weil ja bei Gewinnung neuer, dem Antiquariat bisher fernstehender Schichten ein Schneeballsystem-Effekt eintritt: Der Gedanke, die Eingewöhnung und Einübung an/in das antiquarische Buch ziehen dadurch weitere Kreise.
Grundsätzlich müssen wir uns jenen methodischen Fehler eingestehen, dem wir bisher zum Opfer gefallen sind (mich keineswegs ausgenommen): Wir haben durch Verbesserungen, Tricks, Bündnisse, höheren Komfort usw. nur einen internen Verdrängungswettbewerb geführt, also versucht, den Kuchen neu aufzuteilen. Bestenfalls machten wir uns Gedanken darüber, wie zögernde, aber bereits mit dem Antiquariat in etwa vertraute Kunden neu zu aktivieren seien.
2.
Hieran schließt sich nun ganz zwingend eine Reihe brandwichtiger Überlegungen an. Ich deute sie hier nur an, wir müssen das in weiteren Blogs ausführlicher behandeln.
A.
Sind unsere Zugangswege, ist unsere Portal- und Webseitenwerbung und -ansprache für den mit dem Antiquariat bisher noch nicht vertrauten Kunden verständlich, sympathisch anmutend, einladend, ja - - überhaupt auffindbar?
B.
Inwieweit ermöglichen wir bisher dem RN ein Ausgehen von dem ihm vertrauten Neubuchsektor, können wir ihm die Brücke von dem für ihn selbstverständlichen Prozedere des Neubuchkaufs zum Altbuchkauf schlagen? Oder stoßen wir ihn ab durch schwierige, unnötig komplizierte Sonderbräuche, die vom Neubuchhandel abweichen?
Die Antwort auf beide Fragen liegt auf der Hand, ist aber sehr schmerzlich und für uns Antiquare unbequem.
Es ist tatsächlich nur die eine, große Suchmaschine, das eine, autoritäre Buchportal, das ihm als bisheriger RN vertraut werden kann, das er adoptieren und in seine Kaufgewohnheiten von den Neubüchern her akzeptieren will.
Der Neubuchhandel, gleich ob er seine Titel über die bibliothekarischen Neuerscheinungslisten oder über Lagerkataloge des Sortiments darstellt, zeigt sich immer als eine feste Größe. Da gibt es höchstens die Grauzonen der nur direkt lieferbaren Titel, der vergriffenen Titel, des modernen Antiquariats. Ansonsten aber ist der RN eisern daran gewöhnt, eine feste Bezugsgröße zu haben, "alle" Bücher verzeichnet zu wissen. Ob er dort selber nachschlägt, in der Buchhandlung stöbert oder den Buchhändler im Computer nachsehen läßt, ist da egal. Es gibt sie die sichere, feste Bezugsgröße.
Es gibt für den RN natürlich auch den feststehenden Preis und den definierten Zustand, nämlich neu, als gewohnte Einheit. Auf diese sehr erheblichen zusätzlichen Komplizierungen kommen wir später.
Wir müssen uns nun visualisieren, begreifbar machen, welch ungeheure Bedeutung für den RN die Schatzkammer, der Fundus, die sichere Grundlage des zentralen Kataloges all jener Bücher, die er kaufen kann, hat. Das geht bis in seelische Tiefen herunter, der Lieferkatalog gibt ihm die geordnete Welt, sozusagen das Bürgerliche Gesetzbuch, den Codex des Bücheruniversums.
Wenn dem so ist, dann will und muß er sich dem Antiquariat gegenüber nicht anders verhalten als den ihm gewohnten Neubüchern gegenüber. Instinktiv will er sich zuerst einmal vergewissern, wo denn hier der große, sichere Katalog ist.
Ich überspringe jetzt viele Einzelfragen (im nächsten Beitrag gehe ich auf konkrete Aspekte in EDV und bei Google ein) und bringe die ganz selbstverständliche Schlußfolgerung:
Allein schon zur systematischen Gewinnung neuer Käuferschichten aus den RN (und andere gibt es fast nicht) müssen wir eine einzige, zentrale, maßgebende Bücherdatenbank unserer antiquarischen Titel anbieten können, unterhalten und unterstützen. Das ist derzeit das ZVAB.
Eine Abschließende Bemerkung zu Webseitenbündnissen usw.: Wir sagten eingangs schon, daß ein Verdrängungswettbewerb innerhalb unserer bereits aktiven Antiquariatskunden ziemlich unsinnig ist, solang wir die große Hausaufgabe, die Erstellung unserer eigenen zentralen Datenbank, nicht geleistet haben. Ganz abgesehen von den immer etwas ärgerlichen und peinlichen Gefühlen denjenigen Kollegen gegenüber, die wir zu verdrängen versuchen.
Anstatt sich über die Verteilung des vorhandenen Kuchen die Köpfe einzuschlagen, gilt es - - weitere zu backen.
Das hübsche Bildlein, zu dem ich mir jeden Kommentar versage, stammt aus der Reklamemaschine www.openpr.de.