Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Montag, 11. Mai 2009
Absatzforschung im Antiquariat: Neue Käuferschichten
Liebe Trauergemeinde,
1.
nichts hat uns deutlicher die peinliche Kritiklosigkeit, die Denkunlust von börsenblatt.net vor Augen geführt als jene lässige Gleichgültigkeit, mit der sie im Sortimenterteil die Reform- und Rettungsbemühungen zugunsten des unabhängigen Buchhandels zu behandeln pflegt. Nicht viel besser sieht es im Antiquariatsteil mit dem Schöngeist und Anbeter der Edelantiquariate, unserem verehrten Redakteur Biester, aus, was die dringend notwendigen Reformen im deutschen Antiquariat angeht.
Dies alles ist den Lesern dieses Blogs ja vertraut. Ich möchte nun versuchen, die Namensänderung des Blogs in "alteskrokodil" - mein Nickname seit Urzeiten - für eine Umstellung der Texte hin zu einer strengeren, sachlicheren Diskussion zu nutzen. Wir kommen nämlich nur dann weiter, wenn wir die Erörterungen aus dem "Gefühl" heraus etwas zurückstellen und uns bemühen, begrifflich und funktional klarer und vor allem normierter zu denken.
Wenn zwei Antiquare und Herr Biester über etwas reden, dann meint der gleiche Begriff bei den drei Herren sehr oft - dreierlei. Sie haben sich, wie wir alle, nicht um Defintionen bemüht. Ähnliches gilt für Funktionsmodelle.
Freilich können wir weder die Standardregeln der Werbewirtschaft noch in engerer Sicht die des Neubuchhandels übernehmen. Ich hatte mich ja am Wochenende deshalb so über die verkorkste Genossenschaft für den selbständigen Neubuchhandel aufgeregt, weil sie eigentlich ein weites, gut bearbeitetes und nutzbares Feld innerhalb der Buchforschung zurate ziehen könnte. Nichts davon ist zu erkennen. Sie hat, außer aufdringlichen Portraits der für dieses Schlamassel Verantwortlichen, nichts Neues, sondern unerträglich Altes produziert.
Meine Kritik fällt dagegen weitaus milder aus, wenn es um Modelle im Bereich des Antiquariats geht. Hier ist alles viel, viel komplizierter, von der Ladenstruktur bis zu den Warenarten, von den Preisdifferenzen bis zu den konkurrierenden Absatzwegen.
Ich versuche ganz bewußt, mit einem kurzen Text jenes methodische Denken einzuführen, von dem ich glaube, daß es allein uns in der jetzigen verzweifelten Lage im Antiquariat weiterhelfen kann.
(Erst hat er alle abgewatscht, damit ja keiner der Leser anders als verärgert und gekränkt zurückbleibt - und dann tut er mit frommem Augenaufschlag so, als sei nix gewesen. Mulzer, so geht das nicht. Du schreibst für lebendige Menschen, geh pfleglich mit ihnen um).
2.
Für die einzelnen Phänomene will ich später noch Begriffe suchen und klare Definitionen einführen. - Die Prozentzahlen bitte ich nicht numerisch-rechnerisch, sondern als Hilfe für den Einbau in Funktionsmodelle zu sehen. Auch sie sind noch vielfach zu berichtigen.
Hindernisse für den Absatz unserer alten Bücher
(Hier ist später nach Bucharten (Themen, Preislage, Erscheinungszeit) zu differenzieren. Zu Beginn würde ein solches Aufdröseln zu einer sofortigen und völligen Einnebelung der Lage führen. Damit eng zusammen hängt eine an sich notwendige Aufgliederung nach Betriebs- und Warenarten der Antiquariate. Sie soll noch weiter zurückgeschoben werden, ist sie doch die Hauptursache für die "Sprachlosigkeit" im Antiquariat - Edelantiquare wie etwa Schäfer oder Heuberger verstehen die Nöte der mittleren und kleineren Firmen nicht einmal im Ansatz)
A.
Abgesehen von Nischen (Schickimicki-Edelsammler, Hobbysachgruppen-Sammler) ist unser Reservoir neu zu gewinnender Antiquariatskunden beschränkt auf regelmäßige Neubuchkäufer. Wie hoch sich der dort zu gewinnende Anteil beläuft, wird zwischen 5 % (Stimmen aus dem Neubuchhandel) und bis zu 30 % (dies meine Schätzung) vermutet. Diesen gewohnheitsmäßigen Neubuchkäufern fehlt die Gewohnheit/ Gewöhnung /Einübung in das Kaufen und Nutzen antiquarischer Bücher.
B.
Der Wert älterer Literatur des Sammel- oder Fachgebiets wird (zu) gering eingeschätzt. "Was soll der veraltete Schrott" / "Nur das neueste Wissen zählt". Hier gilt - auch und gerade in den Naturwissenschaften -, daß dieses Vorurteil methodisch gesehen ganz unbegründet ist. Unsere Urgroßväter hatten auf allen Gebieten ähnliche oder gleiche Grundsorgen, Erfahrungen usw. wie wir heute. Den "alles alter Schrott"-Standpunkt vertreten etwa 25 % aller (nur:) Neubuchkäufer.
C.
Die retrospektive Literaturkenntnis ist sehr schlecht, ältere Fachtitel sind nicht einmal vom Hörensagen her bekannt. Diese rein technische Unfähigkeit, ältere Literatur zu ermitteln, ist vom Argument B. zu trennen. Seine Vernachlässigung in der Absatzdiskussion rächt sich bitter. Das Problem betrifft weit über 50 % aller Neubuchkäufer. Hilfe wird ihnen praktisch nicht gegeben. Wäre unsere Aufgabe.
D.
Fraktur wird ungern gelesen. Aus Scham und Scheu geben das viele nicht zu. Ich halte dieses Problem für sehr wichtig, es dürfte etwa 80 % der Neubuchkäufer angehen.
E.
Gebrauchte / alte Bücher haben für viele Gesellschaftschichten ein negatives Image (siehe neue Wohnkultur, Schickimicki im Mittelstand, Reinheitswahn der Hausfrauen). Äußerst schädigend wirkt hier das Flohmarkt-Imageniveau, in das zum Teil auch unsere Bücher gerutscht sind. Deshalb wäre aus Imagegründen OXFAM durch uns aufzufangen und einzugliedern. Dieses Problem betrifft, ich sage es mit tiefer Sorge, rund 90 % aller Neubuchkäufer.
F.
(Dagegen scheinen mir die Absatzhemmnisse, die bereits "eingeübte" Kunden des Antiquariats betreffen, nahezu unwichtig. ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn unsere Ritter vom niederrrheinischen Qualitätsfimmel sich an Quisquilien festbeißen, aber die großen Probleme sub A-E nicht begreifen wollen.)
Keine Kenntnis von den Standorten der Ladenantiquariate am Ort (5 %)
G.
Keine Zeit zum Bücherkauf im Ladenantiquariat (5 %)
H.
Auswahl/ Angebot der Titel im Laden reicht dem Kunden nicht aus (5 %)
I.
Kein Durchblick in Sachen Bücherportale und Metasuchmaschinen - Kunden verirren sich in Netzen und Google-Skurrilitäten der Antiquare, etwa im Netz des verehrten Oberkonsistorialrats RF Meyer. (5 %)
K.
Porto zu hoch (5 %)
L.
Kein Zutrauen zu den Angaben des Antiquars, schlechter Zustand wird befürchtet (5 %)
Wir sehen, daß die Argumente sub F-L für die Frage der Gewinnung neuer Käuferschichten eher marginal sind. Das kommt auch daher: Das ZVAB dominiert den Käufermarkt zu 90 - 95 % und bedient die Kunden des Antiquariats nahezu perfekt.
Das freie Internetbildchen verdanken wir http://www.petguard.de