Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Dienstag, 5. Mai 2009
Gehen wir Antiquare ärgern im Park
1.
Ein seltsamer Nachmittag. Aus pädagogischen Gründen - im nächsten halben Jahr werde ich nur Holzstiche eingeben - mußte ich in die Tiefen unseres Gewerbes hinabsteigen, dort, wo die bedauernswerten Antiquare, den Sträflingen an britischen Tretmühlen um 1830 nicht unähnlich, ihre tägliche Fron der Titelaufnahme abzuarbeiten haben.
Es ging um knifflige Detailfragen, etwa das Abspeichern von CSV-Dateien, die Vorzüge und Nachteile der Bibliographie-Programme im wissenschaftlichen Bereich, die Kompatibilitäten von Worldcat und die Schrecken von Digibib, den KVK-Dschungel und Googles Bücherturmbau von Babel. Sapienti sat.
Es soll ja Leute geben, die sowas mit Begeisterung machen. Mich quält es nur, und interessant wird es allenfalls dann, wenn alte Vorturteile neu bestätigt werden: In den Fachforen kann man, mit Hilfe von Tante Google und etwas Geduld, jede Detailfrage auf Gottes Erdboden beantwortet finden; Open Office Base ist eine ganz wundervolle Maschine, ein Schweizer Armeemesser, das zu studieren sich immer lohnt, während die Windows-Produkte immer irgendwo haken. Die Amerikaner haben viel praktischen Sinn für Datenbank-Benutzbarkeit und offene, kompatible Systeme. Und was andere bescheidene Erkenntnisse dieser Art sein mögen. Trotzdem - ein verlorener Nachmittag, eigentlich Knaben- und Frauensachen, sollen die Sekundaner das lernen, für gestandene Leute ist das unwürdiger Kleinkram.
Liebe Kollegen, ich weiß, daß die Eingabe von Holzstichen in Bücherdatenbanken äußerst grotesk und sinnlos ist. Der Absatz dümpelt um die 2-Prozent-Marke und man betreibt nicht nur Selbstausbeutung, sondern angewandten Dadaismus - Stundenlohn 1,99 Euro. Aber ich habe 10 laufende Meter alter Holzstichblätter, in 30 Jahren zur Seite gelegt, und es macht Spaß, sie zu fotografieren und einzugeben. Etwas Besseres habe ich nicht zu tun, man fühlt sich in die Kinderzeit zurückversetzt und lernt nebenbei noch deutsche Landeskunde. nur wenn Grützners besoffene Klosterbrüder, oberbayerische röhrende Hirsche (nein, keine Anspielung) und der Starnberger See zum xten Mal erscheinen, fühlt man sich leicht genervt.
Während ich mich mit den kniffeligen Datenklau- und Formatierungsfragen herumplagte, schweiften meine Gedanken liebevoll in die Ferne - an den Niederrhein, wo die bösen Leute wohnen, nach Frankfurt zu unserem Redakteur, halberstickt in den Fangarmen seiner komplizierten Organisation, nach Berlin, wo RFMeyer gerade an der nächsten Predigt sitzt. Die Kolleginnen, mit und ohne Marlene Dietrich, Hutnadel und Lagerhalle, hegen finstere Bündnisse, nahe Bern freut sich Kollege Hess des Lebens, in Zürich findet FKK statt, in Wien wird zum xten Mal die Napoleon-Uniform aus dem Theaterfundus entwendet. Das Antiquariat ist gar nicht so langweilig.
2.
Wenn ich auf diesen vertanen, weggeworfenen Nachmittag zurückblicke, fällt mir ein, daß es wieder einmal an der Zeit ist, mein Bücherhaus-Projekt hervorzuziehen aus dem hintersten Kellerregal, den Staub abzuwischen, die Spinnen herunterzupusten und die erste abgegriffene Seite aufzuschlagen. Wird es sich auch diesmal wieder bewähren: Gelingt es mir, die Antiquare damit zu ärgern? Altbewährte Rezepte verlieren nicht plötzlich ihre Wirkung. Auf denn.
Zu den fürchterlichen, hassenswerten Aufgaben im Antiquariat gehört das Titelkopieren - oder gar die eigenständige Titelaufnahme - von Büchern, über die wir definitiv sagen können, daß sie mehr als dreimal im Netz stehen, daß nur ein gütiger Zufall uns gelegentlich einen Verkauf bescheren wird, daß selbst dann das Verpacken und Absenden sich streng genommen nicht so recht lohnt, aber für die Krabbelkiste, so man eine hat, ist der Titel zu schade - ach, was solls, hinein in die Mühle, verbuchen wir das Stück wider bessere Einsicht.
Welchem Kollegen ginge es anders? Richtig besehen und vernünftig organisiert würden wir nur die Titel, die mindestens bescheidene Mittelpreise erzielen, aufnehmen. Was aber tun mit dem Rest?
Das ist die Aufgabe des Bücherhauses. Das Bücherhaus der Antiquare ist eine gemeinnützige Einrichtung, getragen vom (im Jahre 2150 zu gründenden) allgemeinen Berufsverband des Altbuchhandels. Wer die Organisation aus meinen früheren Quäl- und Ärger-Artikeln zuhanden der verehrten Kollegen nicht mehr im Kopf hat, für den hier die Stichworte:
Abholung der Konvolute bei den Antiquaren reihum durch den Bücherwagen. Untergrenze: Die Antiquare sollen nur Titel mit gefühltem Mindest-ZVAB-Wert von 5 Euro auswählen, Obergrenze gibt es nicht, im Gegenteil. Im Bücherhaus dann die recht verantwortungsvolle Triage des Materials nach *Sachgebieten*, es wird nämlich ganzheitlich gearbeitet. Jede Fachkraft ist sodann für "ihre" Sachgebiete zuständig. Herkömmliche Titelaufnahme, Preis je nach Zustand anhand des ZVAB-Materials festgesetzt. Betreffs niederrheinischem Qualitätsfimmel streben wir bessere und häufigere Scans an, auch sollen fleißigere Indices/ Sachgruppenangaben erfolgen, als das bisher der Brauch ist.
Versand nach Eingang der Bestellungen sehr schnell, in der Regel am gleichen Werktag. Bücher stehen nicht nach Nummern, sondern nach Sachgebieten und dann alphabetisch, da Zustände verglichen und Zweifelsfälle von der Redaktion bearbeitet werden müssen. - Nur ausgewiesene Bibliotheksangestellte erhalten begleiteten Magazin-Zutritt. - Versand mit Rechnungsbogen und Versandetikett des einzelnen Antiquars; der Kunde soll vom Bücherhaus nichts merken. Aus dem gleichen Grund erfolgen die ZVAB-Einträge nur mit der Antiquariatsadresse des ursprünglichen Einlieferers.
Inneres Rechnungswesen: Miete und Gehälter gehen vor. Der verbleibende Rest wird - eine sehr wichtige neue Überlegung - nicht durch Abrechnung der verkauften Titel verteilt, sondern prozentual nach dem Gesamtwert der eingelieferten Titel jedes Antiquars. Dabei sollte für Titel unter 20 Euro ZVAB-Wert ein gewisser Abschlag, für solche über etwa 40 Euro ein Aufschlag berechnet werden, aus naheliegenden Gründen.
Jeder Einlieferer hat ganz umfassende Einblicks- und Kontrollrechte.
Fazit: So würde der Antiquar von der Fron unwürdiger Katalogarbeit entlastet, er kann sich den Aufgaben widmen, die ihn am Herzen liegen (z.B. Fachkataloge erstellen).
Frägt die Kollegin mit den Kaiserstühler Lagerhallen: Ja, Mulzer, was soll ich denn dann den ganzen Tag machen? (Sie nennt mich nur "Mulzer", denn Kollegen, die so dumm sind, gratis Beiträge für die Antiquare zu schreiben, braucht man nicht zu titulieren) - Wozu bin ich denn Antiquarin geworden? - Antwort: Wenn du so frägst, dann b i s t du noch gar keine Antiquarin.
Und morgen gehen wir an die Gründung des
Bücherhauses der Antiquare im deutschen Sprachraum.
Das Foto verdanken wir der Webseite linke-bildung-kultur. Auf einfache Anforderung hin wirds entfernt.