Freitag, 22. Mai 2009

RF Meyer und die Alpträume preußischer Oberlehrer




In Berlin haben sie Zeit für Formalienkram. Schade.

1.
Zu den eindrücklichsten Erinnerungen meiner konfusen Lehr- und Lernzeit im Antiquariat vor weit über dreißig Jahren gehört die Erwerbung und Bearbeitung einer unberührten Gymnasialbibliothek, Stand Ende 1918. Tausende von Bänden waren auf dem Dachboden eines Lyzeums buchstäblich vergessen worden, hier hatte ein Universum des deutschen Oberlehrergeistes überlebt. Von Bedeutung war, daß auch viele Kleinschriften, Schulprogramme, Fachblätter und Zirkulare bis hinunter zu kompletten Sammlungen der Spickbüchlein "Von einem Schulmanne" im Miniaturformat gesammelt waren.

Seitdem weiß ich recht genau, wie sich Licht und Schatten im deutschen Schulwesen vor 1918 verteilt haben: Neben einem faszinierenden Reformwillen, einer überraschend modernen Auffassung des Erzieherberufs - - ganz fürchterlicher, lähmender Formalismus allenthalben, ein Vernachlässigen des Gehalts zugunsten erstarrter Regeln und lächerlichem Ritualienkrimskrams. Die erfreulichen Aspekte jenes kleinen Lehreruniversums haben mich zur Beschäftigung mit Jugendbewegung und Lebensreform geführt, heute die Freude meines Greisenalters - die unerfreulichen und lähmenden bevölkern seither meine Alpträume.

Stets kommt da auch mein verehrter Kollege RF Meyer vor.

2.
Zur Sache? Bitte sehr, bitte gleich, Kellner kommt schon.

Wie lang wollen Sie, lieber RF Meyer, uns noch plagen mit jener Zwangsvorstellung, die unter der Federführung unseres niederrheinischen Erfolgsantiquars vor Monaten ausgedacht und eingeführt worden ist, einer Schnapsidee, die er unter der Spitzmarke der "qualitätvollen" Titelaufnahme als Werbeargument für (falsch:)Prolibri zu verkaufen gedachte?

So unsinnig - aus blödem Trotz unkorrigiert - wie der peinliche Name dieses Datenbänkleins erscheint, bei näherem Hinsehen, die Zwangsvorstellung von der strategischen Nützlichkeit einer guten Titelaufnahme.

Ich habe, dies sei vorausgeschickt, zur Zeit täglich mehrere Stunden mit Titelaufnahmen des ZVAB zu tun, auch mit denen anderer Datenbanken, die ich über mein (hochgeschätztes) bookfinder ansteuere. In der Sache geht es mir wie Ihnen - ich treffe verstärkt auf ausgemacht blödsinnige, hundsschlechte Datensätze in einem Ausmaß, das ich von früher her so nicht kannte.

Einem alten Kriminalisten liegt das Strukturieren seiner Verdachtschöpfungen im Blut, das kann er nicht lassen. So habe ich seither gewisse Linien festgestellt, die durch bestimmte Verwendungsformen der Begriffe "hardcover", "Autorenkollektiv", "soft" usw. auf Wieslers oder Abebooks Datenbankhilfen hinweisen. Kurios ist das verstärkte Auftreten von Kolleginnen unter den Übeltätern, weiterhin liegt ein Schwerpunkt der Datensatzverbrechen in unseren eroberten Ostgebieten.

Soweit sind wir uns einig: Die schlechten, zum Teil absurden Titelaufnahmen nehmen in letzter Zeit galoppierend zu.

3.
Allerdings trennen sich nun unsere Wege radikal. Denn ich halte diese Frage, solang dadurch nicht Täuschung oder völlige Unverständlichkeit hervorgerufen wird, für absolut nebensächlich!

Es ist dem Leser im Grunde egal, wenn er schmunzelnd, mitunter auch ehrlich verärgert feststellen muß, daß es unter, so meine Schätzung, 100 Titelbeschreibungen derzeit etwa

10 % teilweise schlecht formulierte, linkische, tapsige, darunter
2-3 % stark fehlerhafte, in der Sache aber noch eindeutige, und
1 % irreführende, mißverständliche, sehr ärgerliche

gibt. Die 2-3 % sollten durch eine Stichprobenkontrolle durch die Datenbankverwaltung, die sich immer auf die Firmen konzentrieren müßte, getilgt werden. Den ganzen Rest aber kann man ohne weiteres stehen lassen. Sie tun niemandem weh, im Gegenteil habe ich den Eindruck, daß sie beim Querlesen zur Auflockerung dienen.

Die Glaubwürdigkeit einer Datenbank leidet keineswegs unter den 9 % der sachlich doch noch erkennbaren und eindeutigen Titelaufnahmen der untersten Qualitätsstufe. Kritisch wirds erst bei dem einen letzten Prozent. Hier muß jede Datenbank ab und zu detektivisch Stichproben machen und sie zurückverfolgen hin zu bestimmten Kollegen (-innen).

Wir sind uns da in der Sache einig. Aber, lieber Kollege RF Meyer, Sie dürfen daraus doch keine Staatsaktion machen, die ins Grundsätzliche geht! Das ist ein technisches Problem einer jeden Datenbank, die knapp tausend Mitglieder hat. Indem wir solche Erscheinungen etwas korrigieren und in den Griff bekommen, ändern wir an den Grundproblemen nichts, aber auch wirklich gar nichts!!!

4.
Wobei wir den Bogen zum Preußischen Oberlehrer hin geschlagen haben. Ihr fürchterliches Herumreiten auf solchen Detailfragen vernebelt Ihnen und uns allen den Blick auf die wirklichen Chancen, Gefahren, Fragen und Anliegen, die sich mit dem Begriff der Bücherdatenbank für uns Antiquare verbinden.

Wir alle wissen, daß es derzeit nur einen Weg gibt, nur ein Problem, das wir angehen sollten:

Das Erstellen einer eigenen oder die Adaption einer fremden Datenbank, die unter der Kontrolle der Antiquare steht. Die Voraussetzung dafür ist die Schaffung eines gemeinsamen Dachverbands aller Antiquare.

So. Darum muß es gehen. Sie reiten auf Nebensächlichkeiten herum, stilisieren im Grunde lächerliche Detailfragen hoch zu künstlichen Problemen - während der Zug, in dem wir alle sitzen, in brasilianische Sumpfwälder oder freiherrliche Melkmaschinenbatterien rast.

Redakteur Biester meinte zu meiner Forderung vom Mittwoch, nach dem Vorbild der Fachpresse einen gemeinsamen berufsbezogenen Dachverband zu gründen, das ließe sich nicht machen, weil in der Fachpresse große Firmen beisammen säßen, wir aber meist kleine Klitschen seien. Dazu kann ich nur die Gegenthese aufstellen: Gerade weil die Antiquare ministrukturiert sind, stellen sie eine ideale Vielfalt zur Schaffung eines demokratischen Dachverbands dar, ganz ohne Rücksicht auf bestehende Verbände, AGs und Gruppierungen.

Zweck: Schaffung oder Übernahme einer Bücherdatenbank als gemeimsam kontrolliertes Verkaufsportal.

Darum muß es uns im Augenblick gehen. Sie sind nah dran - die Portalfrage hat Sie ja für Ihre nette, aber ganz verquere "Bündnisidee" auch schon eingeholt. Nun gehen Sie noch einen Schritt weiter: Schaffen Sie für alle Antiquare das gemeinsame Portal.

Und überlassen Sie die unsägliche "Qualitätsfrage" den Zwangsneurotikern, die sich an solchen skurrilen Oberlehrerphantasien aufgeilen können. Mir fehlt dafür jedes Verständnis. Wenn das Haus brennt, muß man löschen. Sind wir Männer oder Memmen?