Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Mittwoch, 8. Juli 2009
Wo muß eine Rationalisierung im Antiquariat ansetzen?
Unser aller Redakteur Biester von börsenblatt.net verweist den Leser, wenn auch nur schamhaft über seine Twitter-Randleiste, auf die anstehende Ebay-Versteigerung von 3000 Büchern aus "Geschichte Technik Literatur", die derzeit mit 125 Euro beboten wird und, lassen Sie mich schätzen, am Ende etwa 700 Euro erbringen sollte.
Wenn sich Edelantiquare und ihr Hausredakteur Biester in die Niederungen des Alltagsantiquariats hinabbegeben, dann geschieht das selten ohne verwundertes Kopfschütteln: Welch seltsame Regeln gelten hier, wo es weder um hüpfende Gazellenlederprunkeinbände, noch um per Handschlag erworbene Heine-Erstausgaben, noch um diskret behandelte Stammbuchseiten aus Königsberg geht, sondern um, horrible dictu, alltägliche Gebrauchsliteratur.
Wobei hier der Name des Auktionshauses Kiefer, man weiß es, für solide Buchqualität steht, Überraschungen nach unten sind nicht zu befürchten, Trouvaillen aber auch nicht zu erhoffen, denn die Kiefer-Leute kennen sich aus. Übrgens versenden sie die derzeit graphisch erfreulichsten Versteigerungs-Halbjahreskataloge, die sich die Helden unseres Quack-Grufti-Katalogs für depressive Büchersammler vorher hätten ansehen sollen - aber lassen wir das.
Was lehrt uns das durchaus interessante Beispiel der 3000 Titel, ordentliche bessere Unter- oder untere Mittelware, wie man das sehen will, die nach meiner Vorahnung pro Titel zu etwa 50 Pfennigen, sorry, 25 cents, über den Pforzheimer Tresen gehen wird?
Bei Titeln unter etwa 30 Euro mittlerem ZVAB-Wert, die mit einiger Sicherheit mehr als 1 x im ZVAB nachgewiesen sind, spielt der Ankaufspreis kaum mehr irgendeine Rolle.
Randbemerkung: Wir orientieren uns nur an der Bücherdatenbank ZVAB, alles andere wäre Unfug. Gerade bei älterer Allerweltsliteratur außerhalb des modernen Antiquariats hat das ZVAB ein Quasi-Monopol von mindestens 80 % Marktanteil.
Daß der Ankaufspreis kleinerer Allerweltstitel keine Rolle spielt, ergibt sich ganz organisch aus der Ankaufspraxis jedes Antiquars. Wir sondern bei jedem Ankauf zunächst rechnerisch, dann realiter die bessere Spitzenware, dann die guten Mitteltitel aus. Sie bringen allein den Gewinn. Die untere Mittelklasse aber und das ganze untere Feld "muß" gratis sein, sonst haben wir beim Ankauf etwas falsch gemacht.
Das sind olle Kamellen, zugegeben. Ich möchte aber heute auf etwas anderes hinweisen. Es wird ja eine zunehmende Absatzkrise im Antiquariat erwartet. In der Krise, bei sinkenden Erträgen, rationalisiert man. Jetzt ist man dazu von der Lage her gezwungen. Rationalisierung in der Krise war schon immer sehr heilsam - wer aus der Fülle einer guten Konjunktur lebt, der denkt nicht an Vereinfachung der Arbeitsabläufe.
Da uns ganz abstruse, fürchterlich schlechte Betriebsrechnungen selbsternannter Betriebswirtschaftler, neugebackener Antiquare in Oberfranken und anderswio via Xing ins Haus gekommen sind, ich nenne hier keine Namen, kann es nicht schaden, dagegenzuhalten und auch ein wenig zu rechnen.
Wir sprechen jetzt nur über Untere Mittelware / obere Unterware - das Kieferangebot ist sehr typisch dafür und übrigens mit exzellenten Fotostrecken versehen.
----------------------------------------
Anteilige Zeit für Vorordnen, Ausscheiden, Bereitstellen nach Themengruppen ....... 1 min
(dabei eingerechnet die endgültig auszuscheidenden Titel, deren Bearbeitung ja auch Zeit braucht)
Nachsehen des Preises und evtl. Besonderheiten im ZVAB ..... 2 min
(vor allem wegen des Abklärens von Auflagen, Besonderheiten usw. immer zeitaufwendiger, als man denkt)
Einkopieren aus ZVAB oer sonstiger Titeldatenklau via Wiesler, Worldcat usw. ...1 min
(geht aber nur dann so schnell, wenn man im ZVAB vorermittelt hat)
Zustandsprüfung (muß blitzschnell gehen), Preisfestsetzung, Notierung von Mängeln ....1 min.
(An sich wäre nun noch ein guter Scan anzusetzen, lohnt sich !immer!, vorausgesetzt, man hat eine schnelle Scan-Maschine) aber davon sprechen wir ein andermal)
Anteil des Titels an der Endkontrolle (Rechtschreibung, Buchnummern usw.) und am Hochladen ....30 sec.
------------------------------------------
Summa 5 1/2 min
In absehbarer Zeit werden abgesetzt 10 % der Titel (sorry, bei besserer Unterware/ unterer Mittelware ist das schon ein sehr guter Wert!). Für einen verkauften Titel sind also 9 weitere zu bearbeiten (diese Zeit ist nicht ganz verloren, aber in absehbarer Zeit nicht zu nutzen).
Zeitaufwand je verkauftem Titel 55 min.
---------------------------------------
Rechnungsausdruck und Packen, exzellente Organisation vorausgesetzt, 5 min.
(Rechnungsverfolgung usw. nicht berücksichtig, tatsächlich ist die Zahlungsmoral in diesem Buchbereich sehr gut, trotz des Kollegengejammeres)
ZEITAUFWAND JE VERKAUFTEM TITEL 60 min.
----------------------------------------
Nun beträgt der mittlere Verkaufswert solcher Titel
21 Euro
- 3 Euro Datenbank- und Wiesler- usw.-kosten
- 1 Euro MWst (-teil)
-------------
17 Euro
Das ist, berücksichtigen wir die katastrophale Situation der *kleineren* Selbständigen im Kranken- und Altersversorgungssystem unserer Republik, ein Netto-Stundenlohn von etwa 13-14 Euro.
Fazit: Der Antiquar, der sich solcher Titel annimmt im Versandgeschäft, arbeitet zum Stundenlohn einer Reinemachefrau.
Wobei wir wieder bei der Versteigerung angekommen wären - jetzt verstehen wir, weshalb der Antiquar mehr nicht zahlen *kann* für gute, aber doch eben sachkundig ausgesuchte Ware dieser Art.
In meiner Rechnung stecken zahlreiche weitere Lehren, ja: Der Kern einer aktuellen Rationalisierungsdiskussion muß hier und nirgendwo anders liegen - - - aber ich radle jetzt in die Mensa 2. Zum Kaffeetrinken gibts eine hübsche Studentin, weiß mans?
Das Foto gehört Fa. Kiefer, der ich für die Verwendungsmöglichkeit danke.