Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 3. Juli 2009
Das Antiquariat als Herrenclub
Die Webseitenkritik gestern ist noch mild ausgefallen. Ich war wieder einmal zu zaghaft und zu feige - sollst du es dir wirklich verderben mit den jungen Damen, die offensichtlich jenes ungeschickte Verbandsportal zusammengeschustert haben? Eine Kritik, die ihren Namen verdiente, wäre eingehender gewesen und hätte das ganze Ausmaß der Stümperei enthüllen müssen, mit der sich die amerikanischen Kollegen da bekleckert haben.
Wobei wir gut daran tun, uns in Erinnerung zu rufen, daß Webseitenkritik mehreres zugleich leisten muß, auch wenn sie das nicht jedesmal ausführlich herbetet:
1)
Der erste, spontane und der zweite, nachwirkende Eindruck - die Gesamtwirkung als Milieu wird nachgefragt. Sehen Sie es wie den Besuch in einer fremden Wohnung - wie riecht es, auf welchem Bodenbelag gehen wir, was sehen wir beim Blick aus dem Fenster, wie "kommen wir uns vor", während wir in der Wohnung sind, wie ist der Tonfall, die Haltung der Bewohner...
2)
Die sprachliche Form und das Vermeiden sachlicher Fehler. Das wird immer wieder unterschätzt. Ich erinnere mich an eines der fürchterlichsten Beispiele, eine (heute hoffentlich nicht mehr bestehende) Version der Quack-Seite, in der ich etwa 60 grammatikalische und sprachästhetische Fehler entdecken mußte, zwanzig davon hatte ich in börsenblatt.net aufgelistet (ach, hätte mich Biester doch besser schon damals hinausgeworfen, nicht wahr?)
3)
Wir fragen nach der Brauchbarkeit, der Anwendungstauglichkeit - was beides zum Teil auch die Usability ausmacht, nur meint jener unübersetzbare Fachausdruck weit mehr als nur das. Da können und müssen wir ganz elementar vorgehen, sozusagen primitiv. Der Kritiker hat sich naiv zu stellen und die Webseite "einfach" zu benutzen. Oder doch wenigstens sollte er das versuchen..., falls und soweit es ihm die oft so unpraktischen Webseitenbauer ermöglichen.
4.)
Erst jetzt kommt die Ästhetik, also Farbenwahl, Typen, Durchschuß, Zeilenabstände. Die fließen zwar stets in die anderen Gesichtspunkte ein, können aber mit Gewinn auch separat betrachtet werden.
Darf ich nach dieser Auflistung, die Sie so in keinem Lehrbuch finden, da sie auf meinen eigenen "naiven" Erfahrungen beruht, nochmals andeuten, daß eine Kritik der US-Webseite, schön aufgedröselt nach 1 bis 4, absolut verheerend ausgefallen wäre? Und daß es mir nur begrenzt Freude bereitet, den verehrten Kollegen dort Kummer zu bereiten?
Eine Nutzanwendung können wir ziehen aus dem Desaster. Ich bin mir sicher, daß hier eine Frau am Werk war. Die Fehler der Webseite sind ausgesprochen feminin. man muß das spüren!
Es ist ganz interessant:
Die besten Webseiten werden von homophilen jungen Menschen gebaut. Die nächstbesten von Greisen.
Greise haben sehr viel Sinn für männerbündische Gestaltungsweisen. Nun habe ich zwar vorgestern ausgeführt, daß unser Gewerbe nur dann ein neues Absatz-Image aufbauen kann, wenn es sich "entgreist" und jugendlich wird. Aber was vor allem da sein und da bleiben muß, ist männliches Stilempfinden. Im Antiquariat darf absolut kein femininer Ton unterlaufen, schon gar nicht bei der angedachten Wendung ins Jugendliche.
Unsere Kunden, auch die jüngeren, die wir jetzt einwerben möchten, fahren auf einer streng männlichen Schiene, insoweit sie sammeln.
Während der Neubuchhandel bis in die Verästelungen hinein in einer widerlich-süßlichen Weise verweibt ist - wir stolpern über Röschen und Blumenkärtchen, sinken in flauschige Sitzgruppen in rosa oder lindgrün, werden betüttelt von törichten, aber hübschen Buchhändlerinnen und alles ist unsäglich verkitscht, verniedlicht und verschönt, gerade auch von der Verlagswerbung her - - währenddessen herrschen im Antiquariat entgegengesetzte Tendenzen.
Wir müssen hart, männlich (nicht: sachlich), streng geordnet (nicht: langweilig), mit allen Attributen des Männlichen versehen (kein Schild "bitte im Sitzen urinieren", kein Verzicht auf gemütliche Rauchernischen, soweit rechtlich herstellbar, keine übertriebene Sauberkeit, keine lindgrünen oder babyblauen Farben, nicht eine Blume bitte...) ein klassisches Eldorado für den jüngeren Sammler herstellen.
Das Antiquariat der nahen Zukunft muß das Image eines britischen konservativen Herrenklubs annehmen. Dies war und ist die Sammleratmosphäre aller Völker und Zeiten. Männer, die ernsthaft miteinander umgehen und sammeln.
Auch und gerade deshalb ist die besprochene US-Webseite so fürchterlich - sie verrät alle männerbündischen Image-Grundbedürfnisse, hier wurde gebatikt und geblümelt, beides leider auch noch sehr unästhetisch und krottenschlecht.
Die Urheberrechte des Filmbildes liegen beim WDR, dem wir für die Verwendungsmöglichkeit danken. Foto wird auf einfache Anfrage hin entfernt.