Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Sonntag, 19. April 2009
Der Börsenverein der Antiquare und seine Wiki-Bücherdatenbank
1.
Jede Aktion im Bereich des Antiquariats mit seinen komplizierten Strukturen, den vielfältigen möglichen Aufgaben und der sehr unterschiedlichen Größe der Betriebsformen bedarf einer zuvor aufgestellten Organisation.
Auf die schon bestehenden Vereine, Genossenschaften und AGs kann nicht gut zurückgegriffen werden, weil sie teils abstimmungs- und beratungstechnisch unglücklich organisiert sind, teils sich hinderliche juristische Fesseln angelegt haben, vor allem aber weil sie unterschiedliche Schwerpunkte unseres Gesamt-Berufsfelds bedienen.
Da die Übergänge vom Laden- zum Internetantiquariat, vom Fach- zum Allgemeinbetrieb, vom Seltenheits- und Messeantiquar zum Allesverwerter fließend sind und auch weiterhin fließend sein werden, geht es nicht an, auf Internet oder Laden/ Messe konzentrierte Einzelgruppierungen als allgemeine Vertreter des Berufsstands zu küren. Gewaltsame Trennungen nach dem Motto "die Ladenantiquare", "die Internetantiquare", "das Edelantiquariat" sind unpraktisch und machen eine gemeinsame Absatzförderung zugunsten des alten Buchs fast unmöglich.
2.
Was immer die zu schaffende Organisation, die die Antiquare brauchen, an Aufgaben zu erledigen haben wird - es ist anzuraten, von der bewährten und in ihrer Art eindrucksvollen Struktur des Börsenvereins des Buchhandels soviel zu übernehmen, sagen wir getrost "abzukupfern", wie es irgend geht. Ich sehe auch gar kein Hindernis, einen ähnlichen Namen zu wählen.
Da die Sorgen des ganz rigoros gegenüber der restlichen Welt abgeschotteten deutschen Lesebereichs die gleichen sind wie in Österreich und in der Schweiz, meine ich, es sei gut, von Anfang an nicht als "deutsche Antiquare", sondern als "Antiquare im deutschen Sprachraum" zu firmieren.
Anders als der Börsenverein der Buchhändler, dessen Mitglieder von Anfang an gestandene Firmen mit einer gewissen Mindestgröße waren, hat eine Arbeitsgemeinschaft der Antiquare auch kleine Kistenschieber, nebenberufliche Liebhaber-Fachantiquare und zaghaft, aber ernsthaft beginnende Internet-Einlieferer zu betreuen. Deshalb muß zunächst in einer Art korporativem Denken jeder Antiquar, auch ohne Beitragsforderungen, aufgenommen werden, sozusagen "enthalten sein". Die Beitragsfrage kann dann später, sozusagen im fahrenden Zug, angegangen werden.
Ungemein wichtig ist die schnelle Herstellung einer Internet-Demokratie: Über alle Fragen kann und muß sofort diskutiert und dann kontrolliert abgestimmt werden, in dieser Hinsicht können wir formal-parlamentarische Vorgehensweisen etwa aus den USA übernehmen (Gründungsphase von "Tomfolio"), sogar der große Börsenverein wird da etwas lernen.
3.
Der Börsenverein der Antiquare oder provisorisch "das Gebilde" muß sehr wohl seine eigene Datenbank schaffen und unterhalten.
Die eigene Datenbank der Antiquare kann nur eine annotierte Datenbank sein. Sie führt zunächst, das ist an sich kein Wunderwerk, die bisher bestehenden bibliothekarischen Bücherdatenbanken für den deutschen Sprachbereich zusammen, also eine Mischung aus Worldcat, Kvk = Digibib und Googlebooks. Die juristischen Probleme werden durch das damit verbundene Wiki-Berichtigungs-System gelöst, siehe unten.
Die Datenbank der Antiquare (übrigens kein schlechter Name) bringt das gesamte deutschsprachige Schrifttum, ohne Rücksicht darauf, ob ein Antiquar gerade bestimmte Titel daraus anbietet oder nicht. - Die Titelaufnahme durch den Antiquar entfällt weitgehend, vielmehr annotiert er seinen Bestand, er merkt ihn an:
Trine, Ralph Waldo
Der Geist in dir sei dein Berater
Lichtstrahlen aus seinen Schriften in 52 Wochenbetrachtungen
Übersetzung aus dem Englischen von Dr. Max Christlieb
Stuttgart: Engelhorn 1912 f.
216 S.
- Kart., stärker benutzt, Titelblatt mit Stempel
18,00 Eur
Antiquariat Brecht, Kaufbeuren
- Hln., frisch, Widmung auf Vorsatz
22,00 Eur
Antiquariat Schönfuß, Köln
- - 3. Aufl. 1916 , Brosch., etwas stockfleckig
16,00 Eur
Antiquariat Tollkirsch, Aachen
(die graphische Anordnung wird natürlich ganz anders sein. Das ist nur ein Textbeispiel, halten zu Gnaden)
Der Vorteil einer weitaus schnelleren Lesbarkeit und besseren Übersicht liegt auf der Hand. Darüber hinaus werden auch die Lücken im Angebot klar, denn da alle je erschienenen Titel aufgezeigt werden, ergibt sich ein faszinierendes Bild des Soll- und Istbestands, des Zuviels und des Mangels im deutschen Antiquariat.
Für den Antiquar bedeutet das: Er arbeitet immer online. Titel schreibt er grundsätzlich nicht mehr selber, sondern er annotiert die vorgegebenen Titeldaten. Wohl aber gibt es eine Berichtigungs- und Ergänzungsfunktion, in der er, ähnlich wie in der klassischen Wiki-Methode, Ergänzungen und Berichtigungen vornehmen kann und soll. Diese Ergänzungen hochzuladen ist Ehrensache des Antiquars. Er ist, wie bei Wiki, jeweils als Autor zu erkennen. Die Bibliothekare sind sehr interessiert an solchen Berichtigungsarbeiten, die der Antiquar ja immer anhand des ihm vorliegenden Buchs selber vornehmen kann, die also einen hohen Kontrollwert haben.
Ein weiterer Vorteil liegt in der Sachgliederung / Stichwortvergabe, die jetzt erstmals "für immer" vorgenommen werden kann, auch sie natürlich durch den Antiquar fortwährend ergänzt und berichtigt.
Ich halte diese Umgestaltung der Datenbank für sehr wichtig. Einmal ist sie eine Abhilfe gegen das völlig stupide, zeittechnisch und auch geistig unzumutbare Aufnehmen der Titel, wie es jetzt noch geschieht. Die Titelaufnahmezeit wird dramatisch verringert, durch die Online-Annotierung ergibt sich - endlich - wieder ein organisches, ganzheitliches Arbeiten.
Da diese Gestaltung der Datenbank vom Goodwill der mitarbeitenden Antiquare abhängt und ihre Ergebnisse zur gewerblichen Verwendung nicht abgekupfert werden dürfen, erlangt der neue Wiki-Katalog automatisch und sehr schnell einen Marktvorteil gegenüber den bestehenden Verkaufsplattformen.
4.
Soweit die Antiquare im Ladenbereich weiterarbeiten möchten, wozu man sie derzeit, mit Ausnahme der Edelware-Kollegen, nur ausnahmsweise ermuntern sollte, brauchen sie endlich eine gute gemeinsame Internetpräsenz, auch hier ist eine Zusammenarbeit mit Google angesagt. Bis auf die Handy-Ebene herunter muß der Länder-, Regionen- und Ortsabruf der Standorte aller Antiquariate möglich und zur Selbstverständlichkeit werden, kartographisch bis auf die Häuserebene herunter. Das dies noch nicht gemacht wurde, ist eine Schande. Notabene ist das nur sinnvoll, wenn wirklich alle, auch die kleinen, Antiquare erfaßt werden.
5.
Natürlich gibt es eine Vielzahl weiterer Arbeits- und Reformmöglichkeiten. Aber - auch wenn uns allen das Thema nachgerade zum Halse heraushängt - nur über eine neue, gemeinsame Datenbank, die ein entscheidendes "Alleinstellungsmerkmal" und eine dramatische Arbeitserleichterung für die Antiquare mit sich bringt, kann den Antiquaren geholfen werden.
Die vielfältigen Aktionen, die wir - vor allem zugunsten der überfälligen verbesserten Zusammenarbeit mit dem Neubuch-Ladenbuchhandel - in Angriff nehmen sollten, können sich allesamt nur um eine zentrale eigene Verkaufsdatenbank gruppieren. Man muß auf dem Erdboden bleiben - es sollen Bücher verkauft werden. Und das Nachweisinstrument, die Seele des Ganzen, ist im Internet-Zeitalter die Webadresse unserer Datenbank.
Folgende Konsequenz darf nicht übersehen werden:
Es gibt keine Mehrfacheinstellungen in xy Bücherdatenbanken mehr. Der Eintrag in die Datenbank der Antiquare (mitsamt den Stammdaten, die man angemerkt hat) ist zwar zum Herunterladen "eigener" Kataloge und auf der selbständigen Webseite des Antiquars möglich. Er kann jedoch nicht in andere Bücherdatenbanken übertragen werden. Der Antiquar geht also eine Ehe auf Dauer ein mit der Verbandsdatenbank. Auch deshalb ist es wichtig, von vornherein wasserdichte demokratische Mitbestimmungsstrukturen zu verabschieden.
Werbetechnisch ist die Wiki-Datenbank das Ei des Kolumbus. Sie kann auf ein ungeheuer fruchtbares good-will im deutschsprachigen Kulturleben rechnen. Schon die Schaffung eines (dem Börsenverein des Buchhandels vergleichbaren) Börsenvereins der Antiquare ist werbetechnisch hunderttausend Euros wert, wenn das wirklich demokratisch, gemeinnützig und umfassend angegangen wird.
Dank für das Bild an Denis QUILLERIER. Wird nach einfacher Aufforderung sofort entfernt.