Donnerstag, 16. Juli 2009

NINIVE kontra Alteskrokodil





Heute hat uns Herr Weinbrenner sein neues Portal "Ninive" vorgestellt. Kompliment!
Das trifft sich gut - ich baue auch eines. Ich bitte um Nachsicht dafür, wenn meine Planungen gedanklich nicht so gut untermauert sind und ich mich anders als Kollege Weinbrenner deshalb hier kurz fasse.


alteskrokodil
Portal für Sammler alter Bücher und Buchantiquare
im deutschen Sprachgebiet



Wo stehen wir?

A.
Was wir n i c h t oder jedenfalls doch nicht vordringlich zu erledigen haben

1.
Die technischen Möglichkeiten im Bereich der Bucherfassung und der Darstellung alter Bücher lassen sich vorderhand nicht verbessern. Man muß w+h oder das abebooks-Titelaufnahmesystem nicht lieben, andere Systeme dieser Art noch weniger, tatsächlich aber ist mit den am Markt vorhandenen und recht preiswert oder sogar gratis zu erwerbenden Hilfsmitteln für jedermann, der Titel aufnehmen und verwalten will, ein vernünftiges Arbeiten möglich. Angesichts der riesigen Probleme, die das Antiquariat an anderen Stellen gefährden, vor allem im Absatz, erscheint es mir nicht sinnvoll, hier Nachbesserungen anzustreben.

2.
Anders sieht es mit einer Verbesserung der Webseitengestaltung aus, wenn wir uns Gedanken über Webseiten und Webkataloge des einzelnen Buchantiquars machen. Hier liegt vieles im Argen. Andererseits aber müssen wir mit dem ausgeprägten Hang des Antiquars zum Individualismus rechnen. Deshalb ist es eine Sache mit Nücken und Ösen, dem Kollegen Hilfestellungen oder gar Standardisierungen zur Gestaltung seiner Webseite zu vermitteln. Auch deshalb, weil der Werbewert individueller Kollegenseiten nicht so hoch zu sein pflegt, als daß man als Antiquar nicht getrost ein wenig ins Provisorische hinein gestalten könnte (mit anderen Worten - meistens guckt ja doch keiner hin).

3.
Dies gilt auch für die Form und Funktionalität unserer großen allgemeinen Verkaufsportale. Mein Test vor einigen Tagen, der ja nur einen Teilaspekt der Funktionalität umfaßte, ist mehr beachtet worden, als ich erwartet hatte. Trotzdem halte ich ein weiteres Nachdenken über die Sonderfrage "Verkaufsportalverbesserung" nicht für vordringlich. Der auch vom Kollegen RFMeyer und im Zusammenhang mit dem (an sich sehr reizvollen) "Daumennagelkinobuch" zum Durchblättern bei Flickr angesprochene Aspekt einer besseren Visualisierung des Buchs, übrigens auch die einzige echte Innovation bei Prolibri, scheitert, was oft vergessen wird, am notwendigen Zeitaufwand für die Scan-Erstellung. Im Bereich des teuren Buchs allerdings muß weitaus mehr gescannt werden. Wie auch immer - Abebooks und ZVAB, die wichtigen Portale für den kleineren Antiquar, arbeiten technisch und ästhetisch gut bis befriedigend.

4.
Die bibliographische Erschließung unserer alten Bücher wird durch die Google-Digitalisierung, durch Wordcat, durch KVK/Digibib und andere Hilfsmittel, die jenseits unserer Einwirkungsmöglichkeit liegen, immer weiter vorangetrieben. Was vor einem Jahrzehnt noch ein anzustrebendes Ziel gewesen wäre, die Bibliographie und Inhaltserschließung der älteren Titel zu erleichtern, das ist heute schon auf mittlere Zeit hin unnötig.


B.
Was sofort und unbedingt zu leisten ist

5.
Durch die Digitalisierung der alten Bücher, die Zeitgrenze wird sich in der Praxis bis gegen 1930 voranschieben, brechen die meisten sachlichen Nutzer weg. Das gilt nicht nur für den Wissenschaftler, sondern auch für weite Bereiche der berufspraktischen Nutzung, wir müssen da auch an Bibliotheken und Archive denken. Denn es gilt zwar einerseits, daß die Fachbibliothek das "körperliche" Exemplar haben muß aus archivalischen Gesichtspunkten - die Kontakte, die ich zu Freiburger Fachbibliotheken unterhalte, zeigen mir aber ganz klar, daß die Vorteile der Nutzung eines digitalisierten Exemplars so schwer wiegen (blitzschnelles Lesen am Apparat, elegantes "copy and paste", sekundenschnelles, gezieltes Teilausdrucken, elegantes Zitieren, perfektes Totalindizieren des Wortlauts usw.), daß mit ganz wenigen Ausnahmen auch der Institutsbereich für das Antiquariat in allernächster Zukunft als Kunde entfallen wird. Zweifel daran sind nicht möglich.

6.
Der allgemein, querbeet über Sachgebiete hinweg das "seltene" oder "interessante" alte Buch sammelnde Antiquariatskunde war schon immer ein rara avis. Bei näherem Zusehen handelt es sich dann eben doch um den Liebhaber bestimmter Sachgebiete. Dies ist die eine wichtige Regel, die wir auch bisher als Antiquare schon beachtet hatten. - Nicht ins Blickfeld genommen haben wir aber etwas anderes, und daran tragen die Verfechter, die Anbeter und Hohepriester der Bibliophilie ein gerüttelt Maß an Schuld: Das klassische Büchersammeln bezieht sich b i s h e r mit wenigen Ausnahmen auf das seltene, das teure, das gesuchte Buch. Eine Wertuntergrenze läßt sich generell nicht angeben. Kinderbuchsammler halten auch kleine Titel zu 15 Euro schon des Erwerbens wert, die Liebhaber alter Reiseliteratur beginnen meist erst ab 80-100 Euro, um zwei Beispiele herauszugreifen. Die Wertuntergrenze beim Büchersammeln ist bisher zu wenig überdacht worden.

7.
Um das Antiquariat wieder auf die Beine zu bekommen, um ihm neue Käuferschichten zuzuführen, um einen Ausgleich für die Digitalisierungsverluste zu schaffen, müssen wir eines leisten:

Der Sachgebietsammler soll angeleitet, soll verführt werden dazu, nach unten hin *alle* Titel seines Sammelgebiets zu kaufen.

Wir müssen also für jedes thematische Sammelgebiet Anreize dafür schaffen, daß das billige, das einfache alte Buch geschätzt, als sammelwürdig und als besitzenswwert angesehen wird. Wir haben also die Aufgabe,

das Sammelgebiet des alten Buchs im unteren und mittleren Wertbereich neu zu postulieren, es einzuführen, es "modern" zu machen.

8.
Mit allgemeinen Redensarten ist da gar nichts zu wollen, mit Leseförderungsmaßnahmen der mehr oder minder tollpatschigen Art auch nicht. Jeder andere Berufsstand würde diese Aufgabe, die nichts anderes bezweckt als die Gewinnung neuer Käuferschichten, gemeinsam anpacken. Das ist nicht möglich. Man muß das verstehen - die von mir sine ira et studio als "edel" bezeichnete Oberschicht unseres Gewerbes lebt von der Jagd auf die teuren Titel. Ihnen könnte von einer Erweiterung des Sammelgebietes "altes Buch" nach unten hin höchstes Schaden entstehen. 950 von 1000 Buchantiquaren aber würde davon davon profitieren.

9.
Nun muß ich dringend davor warnen, der Aufgabe mit jenem allgemeinen kulturpolitischen Geschwafel zu Leibe rücken zu wollen, das unter uns Antiquaren zur lingua franca geworden ist immer dann, wenn uns eigentlich - nichts einfällt. Es mag kurios klingen, aber angesichts der gestellten Aufgabe ist der im Vorteil, der ausgedehnte Erfahrungen im klassischen Briefmarkensammeln hat. Wir sprechen da natürlich nicht von jenem Sammeln postfrischer Bilderchen, die die Post liefert, um alte Greise und Kinder auszunehmen - sondern von der passionierten Jagd nach Briefmarken auf Dachböden und in Kellern, vom nächtelangen Katalogisieren, kurzum vom Markensammeln als Leidenschaft. Nur wer das kennt (und um die Regelwerke weiß, die der zuliefernde Berufsstand seit anderzalb Jahrhunderten entwickelt hat), kann die Brücke vom Briefmarkensammeln zum Altbuchsammeln schlagen.

10.
Da Bücher nicht Briefmarken sind, muß jede Regel, jeder Grundsatz daraufhin abgeklopft werden, wo Gemeinsamkeiten herzustellen sind oder wo energisch abgewandelt werden muß. Immerhin darf ich, auf den Stockzähnen grinsend, gleich eine Gemeinsamkeit feststellen - der Büchersammler liest seine Erwerbungen (auch) nicht. Er hortet sie, er streichelt sie, er liebt sie. Von daher sollte er sich mit dem klassischen Markensammler gut verstehen. - Es gibt absolut keine Bezüge zum Kunstsammeln, auch hier übrigens eine Konfliktmöglichkeit mit den Edelantiquaren, die streckenweise in der Atmosphäre des Kunsthandels mehr leben, psychologisch gesehen, als im Buchantiquariat. Mir scheint, daß das Buchantiquariat seine neuen Impulse tatsächlich aus dem Bereich des - übrigens rapide im Rückgang befindlichen - Briefmarkensammelns erhalten kann.


C.
Und nun konkret

11.
Das Internet stellt uns besonders günstige Möglichkeiten zur Verfügung. Wir können jedes Sammelgebiet, soweit es sich sachlich abgrenzen läßt, in einer "eigenen Seite" ins Netz bringen. Das - übrigens höchst reizvolle - Sammelgebiet "ältere Esoterik" muß ich völlig anders herüberbringen als das der "älteren Naturheilkunde", auch wenn sich beide Gebiete überschneiden mögen. Es geht jeweils darum, den "Geist" des Sammelgebiets einzufangen. Es geht darum, Bibliographien bereitszustellen, soweit das juristisch-urheberrechtlich möglich ist; vor allem aber müssen sehr viele Buch-Scans das Sammelgebiet vorstellen, es schmackhaft machen.

12.
Wenn nun Portal auf Portal für den Sachgebiets-Büchersammler entsteht, ist der nächste Schritt schon vorgezeichnet, ergibt sich sozusagen von selbst. In einer freien Zone, die beliebig groß sein darf, Speicherplatz kostet wenig und Traffic auch nicht viel mehr, bringen die Fachantiquare Links zu ihrer Webseite ein, stellen ihre Listen in Kopie ein, machen sonstwie auf sich aufmerksam (Ladengeschäfte, Messebesuche, Ankaufswunsch).

Aber nicht nur die Fachantiquare - das System bedeutet, daß jeder Kollege, auch der kleinste, seine Bestände ordnet und einbringt nach den neuen Kriterien der entstehenden Sammelgebiete. Man kann die Gliederung unten in einer provisorischen Fassung nachlesen. Ich denke, daß dieser kleine Zwang zur Normierung, zur Vereinheitlichung die Freiheit der Kollegen nicht allzusehr einschränkt. Dieses kleine Stück Unfreiheit ist der Preis für die Schaffung einheitlicher Sammelgebiete im Bereich des unteren und mittleren Antiquariats, für die Erschließung neuer Käuferschichten.

Vorderhand brauchen wir gar nichts anderes. Denn was hülfen uns neue technische Tricks, "Module" und Bildsysteme, wenn wir weiter Monat für Monat - - unsere Kunden verlören?

Wir müssen uns vielmehr durch Schaffung und Propagierung neuer Sammelgebiete und Sammelregeln die neuen Kunden selber schaffen.


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Gustave DORE. 1832-1883: "Jonas exhorte les habitants de Ninive à la pénitence." Gravure.

Mittwoch, 8. Juli 2009

Wo muß eine Rationalisierung im Antiquariat ansetzen?




Unser aller Redakteur Biester von börsenblatt.net verweist den Leser, wenn auch nur schamhaft über seine Twitter-Randleiste, auf die anstehende Ebay-Versteigerung von 3000 Büchern aus "Geschichte Technik Literatur", die derzeit mit 125 Euro beboten wird und, lassen Sie mich schätzen, am Ende etwa 700 Euro erbringen sollte.

Wenn sich Edelantiquare und ihr Hausredakteur Biester in die Niederungen des Alltagsantiquariats hinabbegeben, dann geschieht das selten ohne verwundertes Kopfschütteln: Welch seltsame Regeln gelten hier, wo es weder um hüpfende Gazellenlederprunkeinbände, noch um per Handschlag erworbene Heine-Erstausgaben, noch um diskret behandelte Stammbuchseiten aus Königsberg geht, sondern um, horrible dictu, alltägliche Gebrauchsliteratur.

Wobei hier der Name des Auktionshauses Kiefer, man weiß es, für solide Buchqualität steht, Überraschungen nach unten sind nicht zu befürchten, Trouvaillen aber auch nicht zu erhoffen, denn die Kiefer-Leute kennen sich aus. Übrgens versenden sie die derzeit graphisch erfreulichsten Versteigerungs-Halbjahreskataloge, die sich die Helden unseres Quack-Grufti-Katalogs für depressive Büchersammler vorher hätten ansehen sollen - aber lassen wir das.

Was lehrt uns das durchaus interessante Beispiel der 3000 Titel, ordentliche bessere Unter- oder untere Mittelware, wie man das sehen will, die nach meiner Vorahnung pro Titel zu etwa 50 Pfennigen, sorry, 25 cents, über den Pforzheimer Tresen gehen wird?

Bei Titeln unter etwa 30 Euro mittlerem ZVAB-Wert, die mit einiger Sicherheit mehr als 1 x im ZVAB nachgewiesen sind, spielt der Ankaufspreis kaum mehr irgendeine Rolle.

Randbemerkung: Wir orientieren uns nur an der Bücherdatenbank ZVAB, alles andere wäre Unfug. Gerade bei älterer Allerweltsliteratur außerhalb des modernen Antiquariats hat das ZVAB ein Quasi-Monopol von mindestens 80 % Marktanteil.

Daß der Ankaufspreis kleinerer Allerweltstitel keine Rolle spielt, ergibt sich ganz organisch aus der Ankaufspraxis jedes Antiquars. Wir sondern bei jedem Ankauf zunächst rechnerisch, dann realiter die bessere Spitzenware, dann die guten Mitteltitel aus. Sie bringen allein den Gewinn. Die untere Mittelklasse aber und das ganze untere Feld "muß" gratis sein, sonst haben wir beim Ankauf etwas falsch gemacht.

Das sind olle Kamellen, zugegeben. Ich möchte aber heute auf etwas anderes hinweisen. Es wird ja eine zunehmende Absatzkrise im Antiquariat erwartet. In der Krise, bei sinkenden Erträgen, rationalisiert man. Jetzt ist man dazu von der Lage her gezwungen. Rationalisierung in der Krise war schon immer sehr heilsam - wer aus der Fülle einer guten Konjunktur lebt, der denkt nicht an Vereinfachung der Arbeitsabläufe.

Da uns ganz abstruse, fürchterlich schlechte Betriebsrechnungen selbsternannter Betriebswirtschaftler, neugebackener Antiquare in Oberfranken und anderswio via Xing ins Haus gekommen sind, ich nenne hier keine Namen, kann es nicht schaden, dagegenzuhalten und auch ein wenig zu rechnen.

Wir sprechen jetzt nur über Untere Mittelware / obere Unterware - das Kieferangebot ist sehr typisch dafür und übrigens mit exzellenten Fotostrecken versehen.

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Anteilige Zeit für Vorordnen, Ausscheiden, Bereitstellen nach Themengruppen ....... 1 min
(dabei eingerechnet die endgültig auszuscheidenden Titel, deren Bearbeitung ja auch Zeit braucht)
Nachsehen des Preises und evtl. Besonderheiten im ZVAB ..... 2 min
(vor allem wegen des Abklärens von Auflagen, Besonderheiten usw. immer zeitaufwendiger, als man denkt)
Einkopieren aus ZVAB oer sonstiger Titeldatenklau via Wiesler, Worldcat usw. ...1 min
(geht aber nur dann so schnell, wenn man im ZVAB vorermittelt hat)
Zustandsprüfung (muß blitzschnell gehen), Preisfestsetzung, Notierung von Mängeln ....1 min.
(An sich wäre nun noch ein guter Scan anzusetzen, lohnt sich !immer!, vorausgesetzt, man hat eine schnelle Scan-Maschine) aber davon sprechen wir ein andermal)
Anteil des Titels an der Endkontrolle (Rechtschreibung, Buchnummern usw.) und am Hochladen ....30 sec.
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Summa 5 1/2 min

In absehbarer Zeit werden abgesetzt 10 % der Titel (sorry, bei besserer Unterware/ unterer Mittelware ist das schon ein sehr guter Wert!). Für einen verkauften Titel sind also 9 weitere zu bearbeiten (diese Zeit ist nicht ganz verloren, aber in absehbarer Zeit nicht zu nutzen).
Zeitaufwand je verkauftem Titel 55 min.
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Rechnungsausdruck und Packen, exzellente Organisation vorausgesetzt, 5 min.
(Rechnungsverfolgung usw. nicht berücksichtig, tatsächlich ist die Zahlungsmoral in diesem Buchbereich sehr gut, trotz des Kollegengejammeres)
ZEITAUFWAND JE VERKAUFTEM TITEL 60 min.
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Nun beträgt der mittlere Verkaufswert solcher Titel
21 Euro
- 3 Euro Datenbank- und Wiesler- usw.-kosten
- 1 Euro MWst (-teil)
-------------
17 Euro

Das ist, berücksichtigen wir die katastrophale Situation der *kleineren* Selbständigen im Kranken- und Altersversorgungssystem unserer Republik, ein Netto-Stundenlohn von etwa 13-14 Euro.

Fazit: Der Antiquar, der sich solcher Titel annimmt im Versandgeschäft, arbeitet zum Stundenlohn einer Reinemachefrau.

Wobei wir wieder bei der Versteigerung angekommen wären - jetzt verstehen wir, weshalb der Antiquar mehr nicht zahlen *kann* für gute, aber doch eben sachkundig ausgesuchte Ware dieser Art.

In meiner Rechnung stecken zahlreiche weitere Lehren, ja: Der Kern einer aktuellen Rationalisierungsdiskussion muß hier und nirgendwo anders liegen - - - aber ich radle jetzt in die Mensa 2. Zum Kaffeetrinken gibts eine hübsche Studentin, weiß mans?


Das Foto gehört Fa. Kiefer, der ich für die Verwendungsmöglichkeit danke.

Dienstag, 7. Juli 2009

Zwischenruf: Krisenkonferenz der Antiquare (Idee Redakteur Biester)

Reakteur Biester regt via Twitter an, ob man nicht eine Konferenz zur gegenwärtigen und kommenden Krise im Antiquariat veranstalten solle, ich zitiere ihn:

07.07.2009 17:38h "Books in Hard Times Conference" sollten wir hier auch so etw veranstalten? Krise lässt sich doch nicht verleugnen. #Antiquariat,

wobei er sich die geplante noble Veranstaltung des Grolier Club in New York zum Vorbild nimmt, siehe http://ow.ly/gGE9

Ich würde anregen, das auf deutsche Verhältnisse übertragen anders auszurichten, weniger nobel, dafür praxisbezogener und mit Werbetamtam.

Vorab würde der Börsenverein in einer Überlegungsphase Thesen/ Vorschläge interessierter Antiquare einsammeln und bündeln. Dazu genügt ein sorgfältig begründeter Aufruf in börsenblatt.net. Die Überlegungszeit sollte trotz Ferienstimmung sofort beginnen und nur eine Woche betragen - einmal machen Antiquare überwiegend keine Sommerferien, zum andern haben sie in der klassischen Ferienzeit etwas mehr Muße für solche Überlegungen. Eine längere Überlegungsfrist könnte die Aktualität beeinträchtigen, die Aufmerksamkeit einschlafen lassen.

Die Konferenz sollte unbedingt mitten in der Ferienzeit angesetzt werden, am besten Anfang August. Nur dann ist durch die Sauregurkenzeit ein optimales Medienecho gewährleistet.

Die Konferenz braucht einen Aufhänger, der hohen Propagandawert für das Buchantiquariat haben sollte.

Die Antiquare vertreten ihre Vorschläge persönlich in Frankfurt, Buchhändlerschule der ideale Konferenzort.

Der Veranstalter sollte sich vornehmen, daß von dieser Konferenz eine zündende Initiative zur Absatzförderung des alten Buchs in der Krise ausgehen muß.

++++++++++++++++++++

Ein möglicher Vorschlag wäre eine generelle Preisreduktion der nicht seltenen gebrauchten Bücher auf Einheitspreise von 5 und 10 Euro - Einheitspreismodell.

Eine weitere Idee könnte die Ankündigung einer massiven Ausweitung des Webseitenbündnisses sein (bitte aber nicht unter diesem hausbackenen Namen) mit einem Aktionsplan.

Auch sind radikale Ideen einer ganz neu überdachten Verbindung zum Neubuchhandel möglich.

Eine Idee wäre, mit Google in ein Bündnis zu kommen, durch das Google baldigst die Portal- und Datenbankfunktion der deutschen Antiquare übernimmt.

Undsoweiter. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Das wichtigste Ergebnis muß aber am zweiten Tag der Konferenz in einem Pressemeeting verkündet werden können.

börsenblatt.net und die Antiquare



(Foto: Redaktionskonferenz bei börsenblatt.net, Abteilung Antiquariat)





Unverändertes Zitat, heute früh aus "boersenblatt.net", Abteilung "Antiquariat":


"Veranstaltungen
Türkisch Marmor – schöne alte Buntpapiere in Würzburg

Die Veranstaltungsreihe "Bibliothek für alle" der UB Würzburg widmet sich am 10. Juli Buntpapieren – präsentiert werden Materialien und Techniken.

Buntpapier ist ein Sammelbegriff für Papiere, die oberflächlich gefärbt, bedruckt oder geprägt sind. Bis zum Beginn der industriellen Herstellung im 19. Jahrhunderts geschah dies ausschließlich handwerklich in verschiedenen Techniken: Marmorpapier, Kleisterpapier, Kattunpapier, oder Brokatpapier sind nur einige Beispiele. Die Blütezeit des Buntpapiers war im 17. und 18. Jahrhundert. Als schmückendes und dabei billiges Material fand es bevorzugt Verwendung zum Einbinden von Gelegenheitsschriften und Dissertationen, von denen sich einige hundert in den historischen Beständen der Universitätsbibliothek Würzburg befinden.

In der Veranstaltung (10. Juli; 16.30–18 Uhr) der Universitätsbibliothek Würzburg werden anhand von original eingebundenen Büchern unterschiedliche Materialien und Techniken erläutert. Treffpunkt für die (kostenlose) Führung ist die Informationstheke in der Eingangshalle der Zentralbibliothek Am Hubland. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich."



Wir sind uns einig, daß diese Meldung als reiner Veranstaltungshinweis nur für jene handvoll Antiquare, die in Würzburg und Umgebung leben, von irgendeiner Bedeutung sein kann. Das arme Würzburg, die Anfang 1945 fast vollständig dem Erdboden gleichgemachte, bei näherem Hinsehen unendlich häßliche Neubaustadt, einst die traumhaft schöne Perle Barockfrankens, beherbergt nur wenige Kollegen. Das Umland, romantisch, aber landwirtschaftlich geprägt, hat mit alten Büchern eher wenig im Sinn.

Soweit, so bekannt. Vermutlich wird, ich verwette dagegen meine Sammlung historischer Pornohefte 1970-1975 - 1, in Worten ein Kollege aus Unterfranken Redakteur Biesters Meldung lesen und 0, in Worten Null Kollege bei der Veranstaltung erscheinen, da Antiquare für gewöhnlich anderes zu tun haben.

Warum also bringt die Netzzeitung von "Aus dem Antiquariat", richtiger als Antiquariatsableger von "börsenblatt.net" zu bezeichnen, diese Meldung, die zunächst doch zu fast niemandes Nutzen dient?

So einfach darfst du das nicht sehen, Mulzer. Erstens ist es löblich und beispielhaft, daß eine Bibliothek, dazu noch eine Universitäts- und Landesbibliothek (die haben in Bayerns Teilrepubliken einen hohen Rechtsstatus), solche Veranstaltungen unternimmt. Wir würden das eher von Volkshochschulen oder Stadtbüchereien erwarten.

Zweitens ist das Sammeln alter Papiere ein reizvolles Steckenpferd. Es gehört zu jenen Sammelgebieten rund um das alte Buch, von denen Du, Mulzer, ja selber dauernd predigst, daß sie in Zukunft wichtig werden und die Grundlage des Antiquariats der Zukunft bilden könnten.

Zumal in Bayern. Die Chefin der UB Eichstätt kann uns aus den Güterwagenladungen der von ihr ganz sicher nicht vernichteten Bücher des 18. Jahrhunderts gewiß viele hübsche Buntpapiervorlagen aus den Vorsatzpapieren zur Verfügung stellen. Und tatsächlich ermöglicht die unbegreifliche, radikale Verachtung auch der schönsten Theologica etwa bei Ebay den Aufbau umfangreicher Buntpapiersammlungen zu mittleren Briefmarkenpreisen.

Das ist ja alles Gemeingut und über Google leicht zu recherchieren.

Warum, und nun kommen wir zum Kern meiner Frage - warum läßt sich die Redaktion von "börsenblatt.net" nicht herab, wenigstens mit zwei, drei Wiki-Weisheiten den lesenden Antiquar auf Folgendes hinzuweisen:

1.
Hier bekommst Du die Würzburger Meldung, siehe oben.

2.
Die allgemeine Bedeutung und Nutzanwendung sehen wir, die Redaktion von "börsenblatt.net", darin, daß es wünschbar wäre, wenn Bibliotheken solche Veranstaltungen öfter unternehmen würden,

3.
Wir weisen bei dieser Gelegenheit darauf hin, daß Antiquare das Sammelgebiet "alte Buntpapiere" fördern und kultivieren könnten und sollten,

4.
Wir stellen die Meldung und diese beiden Ratschläge nun noch - da wir eine denkende Fachredaktion und keine "copy and paste" -Roboter sind - in einen größeren Rahmen und machen den Antiquaren einige Vorschläge, wie das Sammeln alter Buntpapiere technisch und taktisch anzuleiern wäre, etwa über die alten Theologica.

Nichts davon tut Redakteur Biester.

Nochmals, zur Vertiefung: Nur die reine Meldung zur Würzburger Veranstaltung zu bringen, ist töricht, ja recht eigentlich dreist, eine Ohrfeige ins Gesicht des denkenden Lesers. Es ist eine Kastration des journalistischen Instinkts, die sich die Redaktion selbst zufügt, wenn sie diesen ideal geeigneten Aufhänger nicht zum Antippen einer seriösen Fachdiskussion benutzt.

So geht es laufend zu in börsenblatt.net, Abteilung "Antiquariat", in letzter Zeit verstärkt. Da wir dem zu Zeiten durchaus emsigen und bemühten Redakteur Biester gewogen sind, vermuten wir weder Trägheit noch Dummheit hinter solcher journalistischen Abstinenz, sondern ein
völlig verqueres und absurdes Mißverständnis vom Charakter der "reinen Meldung" und von der edlen Enthaltung von Kommentaren, Wertungen und Nutzanwendungen.

Das ist aber im Rahmen eines Fachjournalismus allemal eine völlig abstruse Grundhaltung, die es zu ändern gilt. Halten zu Gnaden, wenn wir dies den gestrengen Frankfurter Herren zur wohlwollenden Prüfung hierdurch unterbreiten.


Nachschrift, heute 12.15 h: börsenblatt.net - Zitat >


"Alle Blätter der ältesten Bibel der Welt vereint – im Internet

Die Universitätsbibliothek Leipzig meldet den Abschluss des internationalen Codex Sinaiticus-Projekts, an dem sie als eine von vier Institutionen beteiligt war. Gemeinsam wurden die Blätter der ältesten Bibel der Welt digitalisiert...."

Was soll das? Sie bringen den quasi unveränderten Text der Pressemitteilung aus Leipzig. Kein(!) Antiquar kennt den Hintergrund, die Bedeutung gerade dieser Bibelabschrift. Nicht einmal Kollege Kretzer als Fachtheologe könnte das aus dem Stand richtig beantworten. - Knallen Sie uns doch nicht den Leipziger Text vor die Nase - in dieser Form ist das nur billiger Informationsmüll. Googeln Sie für 2 Pfennig, quälen Sie sich einen erklärenden Absatz aus der Feder, versuchen Sie, zum Edelantiquariat irgendwelche Brücken zu schlagen (die handeln durchaus mit alten Bibelhandschriftenresten, wenn auch nicht mit so alten) - kurzum, tun Sie doch wenigstens irgendetwas!



Das hübsche Foto gehört der Webseite www.gymnasium-achim.de/ags/26.php. Wir danken dem Gymnasium in Achim für die Verwendungsmöglichkeit. Bild wird auf einfache Anforderung hin sofort entfernt.

Montag, 6. Juli 2009

The Grolier Club und der Skandal um das IMPRIMATUR-JAHRBUCH




Offener Brief an die Gesellschaft der Bibliophilen:


So veröffentlicht man, unter Zuhilfenahme eines angesehenen Verlags, bibliographische/ bibliophile Drucke mit Niveau zu verantwortungsvollen Preisen über den Buchhandel. Es geht! Man muß nur wollen:



A Century for the Century
Fine Printed Books 1900-1999
Martin Hutner, Jerry Kelly

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
1999 • 144 pp. 46 color and 54 b&w illus. 9 x 12"
Books on Books / Decorative Arts & Material Culture

$35.00 Paper, 978-0-910672-29-0

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The Extraordinary Life of Charles Dickens
R. J. Crawford, B. J. Crawford

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2006 • 112 pp. 116 duotone illustrations 6 x 9"
Books on Books / Literature & Language-English

$25.00 Cloth, 978-0-910672-62-7

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Four Centuries of Graphic Design for Science
From the Collection of Ronald K. Smeltzer
Ronald K. Smeltzer

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2004 • 50 pp. Illustrated. 5 x 7 1/2"
Books on Books / Design

$10.00 Paper, 978-0-910672-88-7

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The Grolier Club Collects
Books, Manuscripts, & Works on Paper From The Collections of Grolier Club Members
T. Peter Kraus, Eric Holzenberg

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2002 • 192 pp. 39 color & 96 duotone illus. 9 x 12"
Books on Books / Antiques & Collectibles

$50.00 Cloth, 978-0-910672-44-3
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Lasting Impressions
The Grolier Club Library
Eric Holzenberg, J. Fernando Pena

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2004 • 208 pp. 300 color & black & white illus. 8 x 11"
Books on Books / Antiques & Collectibles

$50.00 Cloth, 978-0-910672-52-8
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Symbolic Literature from the European Renaissance
Robin Raybould

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2009 • 160 pp. 80 illus 5 1/2 x 8 1/2"
Books on Books / Art History / History - Medieval & Renaissance

$20.00 Paper, 978-1-60583-023-0

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A Treasure House of Books
The Library of Duke August of Brunswick-Wolfenbuttel
Herzog August Library in Wolfenbuttel

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
1999 • 270 pp. 200 illustrations in color and black & white 8 1/2 x 11"
Books on Books / Antiques & Collectibles / Decorative Arts & Material Culture

$30.00 Paper, 978-1-60583-026-1

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Vivat Rex!
An Exhibition Commemorating the 500th Anniversary of the Accession of Henry VIII
Arthur L. Schwarz; John Guy, contrib.; Dale Hoak, contrib.; Susan Wabuda, contrib.

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2009 • 248 pp. 150 illus. 100 color illus. 8 1/2 x 11"
History - British & European

$45.00 Paper, 978-1-60583-017-9

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The Proper Decoration of Book Covers
The Life and Work of Alice C. Morse
Mindell Dubansky; Alice Cooney Frelinghuysen, contrib.; Josephine M. Dunn, contrib.

The Grolier Club
distributed by
University Press of New England
2008 • 108 pp. 119 color illus. 9 x 12"
Books on Books

$35.00 Paper, 978-0-910672-74-0
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Das gute Repro gehört dem Grolier Club N.Y., USA, dem wir Dank für die Benutzungsmöglichkeit sagen.

Unkonventionelle Quellen zur Geschichte des Antiquariats sammeln!



Es gibt keinen Grund, warum die Buchantiquare sich nicht gern mit der Geschichte ihres Gewerbes befassen sollten. Gerade weil und wenn man mehr Ärger, mehr Unregelmäßigkeiten und Abenteuer damit verbindet als mit vielen ruhigeren Berufen, freut man sich doch rückblickend der gehabten Sorgen.

Daß dabei die Geschichte des Antiquariats ihres Nimbus weitgehend entkleidet wird, muß man in Kauf nehmen. Ein Durchblättern älterer Quellen zeigt, wie sehr schon unsere Vorgänger zur Konstruktion und zum Verleih von Heiligenscheinen, Denkmalspodesten und Legendenbüchern neigten. Interessanter psycholgischer Aspekt: In den 20er Jahren und noch mehr vor dem 1.Weltkrieg begegnen wir dann einer - gar nicht unsympathischen - Nüchternheit und Sachlichkeit, was die Selbst- und Rückschau von Antiquaren anbelangt.

Keine Frage, daß mir der streckenweise fürchterlich verlogene Mythos rund um unsere "bedeutenden" Antiquare auf die Nerven geht. Ich war in meiner Studentenzeit ungemein reiselustig und habe mich zwei fröhliche Jahre, um nur ein Beispiel zu nennen, von einem Fern- und Ameisenhandel zwischen Wien, Berlin und Zürich ernährt. Die Preisunterschiede waren damals, vor 45 Jahren, regional noch sehr stark, und wer sich, wie ich das gern auf mich nahm, wochenlang durch Antiquariate z.B. in Wien zu wühlen bereit war, der konnte noch Funde machen. Wobei Wien meistens sehr abgenutzte Bücher hatte, Berlin dagegen damals und noch auf lange Zeit die Traumstadt der alten Bücher war. An gute Sachen, zumal in Bern, seinerzeit ein Geheimtip, gelangte man nur mit Berndeutsch-Kenntnissen, von denen ich mitunter noch heute zehre.

Bei solchen Gelegenheiten lernte ich die meisten der Mythenträger unseres Gewerbes noch kennen. Sie starben reihenweise wenig später, heute lebt keiner mehr. Wer die Herren in ihren Verliesen, Gehäusen, Keller- und Dachbodenfluchten von nahem kennenlernen durfte, der wurde von mancher Illusion befreit (kam dafür aber mit neuen nach Hause). Vor allem die Sexualgeschichte des Antiquariats, sie sollte einmal geschrieben werden. Auch die der übellaunigen, jähzornigen, bestgehaßten und tyrannischen Antiquare, der verlogenen, schmierigen, unzuverlässigen... Und sei es nur, um die unerträglichen Heucheleien, wie sie in unserer Geschichtsschreibung seither üblich geworden sind, zu konterkarieren.

Zu diesem Thema, beschränkt auf Wien und Berlin, nehmen wir als Stichdatum 1965, könnte ich aus dem Stand zwei Stunden reden. Es würde ein unterhaltsamer Vortrag.

Sehen Sie meine Beurteilungen und Wertungen nicht falsch. Ich verdanke jenen alten Herren sehr viel, ohne sie wäre ich nicht das, was ich heute (nicht) bin. Vieles von dem, was mir heute in Sachen "Reform" unseres Gewerbes so am Herzen liegt, auf den Nägeln brennt, war damals noch kaum aktuell, besonders gilt dies für die Fron der Titelaufnahme.

Hilfskräfte, Lagerzeiten, Einkaufsbräuche und Kundenverkehr waren damals völlig anders strukturiert, ich zögere nicht zu sagen: Besser, angenehmer, menschlicher.

Auch fachlich sehr gute Antiquare hatten viel Zeit für Leidenschaften, Verrücktheiten jeder Art, Passionen im besten wie im schlechtesten Sinn. Ihre Lebensqualität war höher.

Aber das alles interessiert heute ja niemanden mehr. Verband, AG und Genossenschaft überbieten sich in Beweihräucherungen ihrer Vorfahren, kehren das wahre Leben der Antiquare, wie ich es - gerade noch - kennenlernen konnte, mit viel Heuchelei unter den Teppich.

Ich glaube nicht, daß die alten Kollegen, die längst aus einem Bücherhimmel auf uns Nachgeborene herabblicken, darüber besoners erfreut wären.

Zurück zum Thema. Während der Börsenverein liebevoll jedes bedruckte Blatt Papier sammelt, das mit Antiquariat zu tun hat *und* bibliographisch greifbar ist, frage ich mich, inwieweit die Überlieferung unseres Gewerbes im Presse- und noch mehr im Bildbereich gesammelt wird. Was in den Zeitungsarchiven schlummert, kann man, nach Investierung weniger Pfund, zum Beispiel im elektronischen Archiv der (Londoner) Times nachsehen. Das Ullstein-Springer-Zeitungsarchiv in Berlin in der Kochstraße muß prallgefüllte Ordner mit Zeitungsausschnitten zum Thema "Antiquare in Berlin" besitzen. Sogar das Ausschnittarchiv des Hamburger Fremdenblatt vor 1945 ist in Teilen noch erhalten. Undsoweiter.

Es scheint mir ein lohnende Aufgabe, ohne Zeitbeschränkung nach rückwärts alles Archiv-, Presse- und Bildmaterial zum Thema "Antiquariat" zu sammeln und natürlich gratis und vollständig im Internet zur Benutzung einzustellen.

Die Antiquare könnten entsprechende Forschungsaufgaben unter sich aufteilen. Ein anregendes Steckenpferd.



Das Photo (rechts unten im Firmenschild lesen wir "Antiquariat") gehört der Schweizer Illustrierten Zeitung, Nr. 34 vom 21.8.1946 (eigener Scan, leider kommt meine Scanqualität im Bloggerbild nicht rüber)

Twitter-Telegramm und Videovortrag - zwei ungleiche Geschwister




Twitter ist nicht alles.

Die modernen Kommunikationsformen sollten so genutzt werden, daß alle inhaltlichen und technischen Möglichkeiten und Verbindungsarten zum Einsatz kommen.

Beim "Twittern" wird eine ebenso reizvolle wie gefährliche Beschränkung auf extrem wortarme Sofort-Kommunikation kultiviert. Das kommt dem Trend der Zeit zur Schreibfaulheit entgegen, freilich nur scheinbar - denn die Sprache schlägt zurück, sie rächt ihre Vernachlässigung durch ein tückisches Bumerang-Manöver: Um sich auch nur halbwegs wirkungsvoll in knappster Wortbeschränkung ausdrücken zu können, braucht man ein besonders gutes Sprachempfinden.

Twitter zwingt also zu mehr Nachdenken und Nachfühlen über unsere Sprache, sie (es?) läßt die eher Sprachlosen rat-los zurück. Ich wette, daß viele Zeitgenossen verzweifelt vor dem knappen Twitter-Textfeld sitzen.

Dennoch ist die quantitative Spracharmut des neuen Kommunikationssystems für den Liebhaber der deutschen Sprache bedauerlich. So können Einseitigkeiten entstehen.

Die gleiche Grundtechnik, unser Internet, ermöglicht aber auch das geschwätzige, wortreiche Gegenteil - die ausführliche Kommunikation mit Videos. Inzwischen ist die Länge, in der Videos ins Netz gestellt werden können, praktisch unbegrenzt. Es zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß das Medium "Video-Sequenz" für einen kürzeren Vortrag, der sich an fachlich interessierte Laien wendet, besonders geeignet ist.

Die technische Seite löst jeder Unterprimaner mit links. Ein Dreibein, wie wir es vom Fotografieren her kennen, eine Videokamera auch nur der billigeren Ausführung, ein ordentliches Mikrofon - das wars dann.

Der Vortrag wird ohne jegliche Kosten ins Netz gestellt und bleibt dort auf Dauer. Man kann gerade um Videovorträge herum gute, anschauliche, fachbezogene Webseiten bauen, in die die Links zu den Videos eingebaut werden.

Besonders gut eignen sich, wie schon erwähnt, semiprofessionelle Veranstaltungen. Redakteur Biester erinnert heute an die Vorträge der "Freien geselligen Vereinigung DIE MAPPE". Wie hübsch wäre es, wenn man diese Veranstaltungen hinterher auf Video noch Jahre später mitverfolgen könnte!

Ähnliches gilt von Einführungsvorträgen für Antiquariatsmessen, für ausführliche Statements jeder Art, die von Kollegen, vom Börsenverein, von der Antiquariatsschule usw. auf Video mitgeschnitten würden. Anfängliche Hemmungen bei den Vortragenden verlieren sich rasch.

Freilich denken wir nicht an Kurz-Stellungnahmen. Hier muß, schon um die Archivierung, Sammlung und Bereithaltung zu rechtfertigen, ein Zeit-Mindestmaß von 5-10 Minuten angesetzt werden.

Dies wäre ein Beispiel dafür, wie Einseitigkeiten in der Nutzung moderner Medien vermieden werden können. An die Seite der Kürzest- und Sofortmitteilung im Twitter-System tritt die langlebige, ausführliche Videosequenz.



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