Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Samstag, 30. Januar 2010
Vom Abriß und Neuaufbau unserer Bücherdatenbanken
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rechter Hand > sehen wir Ingrid Steeger in typischer Vermeidungshaltung während ihres Praktikums in einer renommierten Zürcher Altbuchhandlung
Jeder von uns kann feststellen, daß für 90 % des antiquarischen Buchmaterials, das wir zur Zeit in den Bücherportalen anbieten, ein betriebswirtschaftlich auch nur von ferne sinnvoller Absatz nicht möglich ist.
In den vorhergehenden Blogbeiträgen wurde begründet, weshalb das so ist, warum es so sein m u ß. Der Wahn des Einzeltitel-Einstellens - außerhalb teurer und/oder vom Sammelgebiet her sehr gesuchter und/oder zum Sammelgebiet eines Fachantiquars gehörender Titel - der Irrsinn der Buchvereinzelung wider jede Vernunft also lähmt unsere ganze Branche, treibt hunderte mittlerer und kleiner Antiquare an den Rand des Wahnsinns, erniedrigt sie zu hilflosen Lemmingen der Bücherdatenbanken und raubt ihnen das Wichtigste: Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung.
Sie können diesen Satz nur nachvollziehen, wenn Sie meine letzten drei Blogbeiträge, man verzeihe mir die oberlehrerhafte Forderung, wirklich s t u d i e r t und durchdacht haben. Glauben Sie nicht, Sie könnten sich die Mühe sparen.
Nun kommen wir zu einigen recht spannenden Schlußfolgerungen.
1.
Die *echten* Fachantiquare (für die betonenden Sternchen gibt es gute Gründe) werden ihre Fachkataloge und Fachlisten natürlich weiterhin ins Netz stellen und drucken. Ein Fachantiquariat gleich welcher Richtung ist so schwierig zu betreiben, bedarf zwingend so umfassender Sachgebietskenntnisse, daß dieser kleine Sonderbereich unseres Gewerbes unverändert weiterarbeiten kann und soll. Fachantiquare genießen Artenschutz im Rahmen der Überlegungen, die wir hier anstellen.
2.
Dies gilt nicht für die Edel- und Messeantiquare. Sie widmen sich, wir erinnern uns an die Definition, den "versteigerungsfähigen" Titeln und/ oder den besonders geschätzten, sammelintensiven Sondersachgebieten. Sie sind in ihren Werbe- und Verkaufsmethoden, Gott seis geklagt, äußerst unbeweglich, methodenkonservativ und oft seltsam unbeholfen. Ich möchte von den Edelantiquaren fordern, daß sie einen neuen Typ Bücherdatenbank/ Bücherportal aufbauen, der sich durch
*intensiven, konsequenten Einsatz reichhaltiger und detailscharfer Bildstrecken
auszeichnen muß. Die Datenbank der Edelantiquare soll einen Ersatz für den Messerundgang bieten, soll mit allen Mitteln v i s u a l i s i e r e n, soll genußvoll zu besuchen sein und sich durch ausgefeilte *Ästhetik* auszeichnen.
oben > Wölkis neue Belegschaft zur Herstellung von Mega-Konvoluten, Betriebsstätten Berlin-Marzahn, Bremen-Neue Fahr und München-Hasenbergl
Weil ich diese neue Datenbank für Edelware immer vor Augen habe, bin ich so enttäuscht von dem namenlos schlechten ILAB- und ABA-Murks, bin ich angeekelt von ästhetischen Gräueln jener Sorte, die uns gerade Prolibri in so reichem Maß beschert. In einem Punkt, nämlich in der ausgezeichneten Bebilderung (würde sie denn nur genutzt...) , hat Prolibri allerdings Vorreiterfunktion.
Noch viel wäre zu sagen zum Neubau der kommenden Datenbank für Edelware. Jenes weitgehend verunglückte Hamburger Edelwaren-Datenbänklein, man erinnert sich, hatte manches doch richtig erkannt und verwirklicht.
3.
Ich kann mich kurz fassen, was das Pflichtenheft für die neue Datenbank betrifft, die Fachgebiets-Konvolute aufnehmen wird. Kein Strukturierungsterror mehr, durchgehende Suchfunktion, reichhaltige Bildmöglichkeiten, angepaßte typographische Gestaltung.
Eines erscheint mir wichtig und auch spannend: Nichts wäre reizvoller als die *Vernetzung* der Antiquariate dieser vier bis fünf Gruppen, und würde RF Meyer sich gelegentlich um sein steckengebliebenes Geisteskind kümmern, dann würde seine Grundidee einer Webseitenvernetzung nun zu neuer Blüte gelangen können.
oben > Das legendäre philosophische Kaffeekränzchen in Berlin bei RFMeyer, man beachte die angeregte Diskussion
Es geht ja doch darum, unter einen Hut zu bringen - dem K u n d e n gegenüber -
a) die Edelantiquare,
b) die *echten* Fachantiquare,
c) die Konvoluthersteller (so ziemlich alle unteren und mittleren Kollegen),
d) die Einzelanbieter teurer und/oder sammelintensiver Titel (das sind praktisch alle mittleren und höheren Antiquare)
Außen vor bleiben übrigens in dieser Betrachtung die reinen und ausschließlichen Ladenantiquare - aber gibt es die noch? Außen vor bleiben ferner jene Kollegen, die die Sachgebietseinteilung und den korrekten, schnellen Titeltransfer nicht leisten - und folglich keine Konvolute herstellen können.
Das werden viel mehr sein, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Ich gehe davon aus, daß 200-300 Antiquare der unteren und mittleren Ebene Konvolute nicht bilden können oder wollen. Das ist ziemlich tragisch, denn damit fallen sie mittelfristig heraus (was immer das nun heißen mag)..
Sachgebietseinteilung, erster Tag, beim Kollegen Heinsius in Kötschenbroda
Die neue Datenbank hat für Edelware, für Fachkataloge, für besonders beliebte Sammelgebiete und natürlich für Konvolute
*gleichzeitig und mit denselben Aufruf-, Finde- und Darstellungsmitteln
dazusein. Das muß sie leisten können. Der Begriff der "Vernetzung" wird hier ganz neu eingebracht werden müssen. Das sind echte Chancen.
Von den geschätzten "echten", also nicht irgendwie getricksten 10-12 Millionen deutschsprachiger Titel in den Verkaufsdatenbanken werden etwa 9 Millionen durch das Konvolutsystem sofort wegfallen. Die Antiquare werden in kurzer Zeit einen massiven Anschub im Verkauf erleben, dafür freilich Mondpreise und Wertphantasien in Sachen ihrer Altbestände opfern müssen.
Ich brauchs ja doch nicht auszuführen, jenes böse Erwachen, das sich schon seit längerer Zeit immer dann ergibt, wenn Kollegen-Buchbestände, durchaus auch auch von ordentlicher, mittlerer Qualität, im Zuge von Todesfällen usw. an den Mann gebracht werden sollen - ein fürchterliches Trauerspiel! Nur hat bisher niemand dieses erschreckende Phänomen weitergedacht. Wir haben das gestern und heute in diesem Blog versucht.
Freundlicher Dank für das Bücher-Triagebild gebührt der "Presse", der das Foto gehört; wir entschuldigen uns weiterhin bei der Stadtbücherei Wilhelmshaven... und beim Schweizerischen FKK-Verband, Sektion Zürich