Samstag, 30. Januar 2010

Antiquar sucht Fahrrad - das Rätsel der Konvolutangebote


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Mit der Einführung des Konvolutsystems auf breiter Grundlage ist für uns Antiquare auch eine Neugestaltung der praktischen Arbeit verbunden.

(Kuriose Beobachtung an Rande: Es findet da ein Rückschritt statt zu den Arbeitsmethoden des durchschnittlichen Antiquariats vor 40 - 50 Jahren. - Ich habe vor genau 50 Jahren meinen ersten selbständigen Buchankauf bei Privatleuten getätigt, einen Kartoffelsack mit Büchern auf der Schulter, das ganze per Fahrrad. Daß die Verkäuferin, eine nette ältere Dame in einem Nobelviertel Freiburgs, dann ausgerechnet die leitende Kulturredakteurin unserer Zeitung war, hat mir zu einer Glosse verholfen, "junger Antiquar aus der Obersekunda mit Kartoffelsack" oder so ähnlich. Damals gabs ja noch echte lange Feuilletons, eine inzwischen fast verschwundene Kunst. Verspottet wurde ich dann noch weit bis in die Studentenzeit damit, denn die paar Freiburger Antiquare kannten mich natürlich. - Waren aber schöne Bücher, expressionistische Literatur, Erstausgaben und so. Gezahlt hatte ich 60 DM. Ende der Umleitung.)

Der Antiquar sortiert den Neuankauf in der Eingangsstufe genau wie damals. Schon immer hatten wir die "Versteigerungstitel" ausgesondert. Das waren damals "die für den Glasschrank", an den nur die guten Kunden im Laden durften. Und weil jeder Antiquar, auch der kleinste Ladenkollege, vom Katalogmachen träumte, wurden auch ein oder zwei "besondere Arbeitsgebiete" aussortiert, jetzt nicht nach Wert, sondern nach Thema. Das Listen- und Katalogemachen war damals eine prestigeträchtige Sache, wer d a s fertigbrachte, der stieg im Ansehen bei Kunden wie Kollegen, und tatsächlich war es, ehe es die ersten Schreibmaschinen mit schüchternen Composer-Funktionen gab, eine mühsame Angelegenheit. Vom Geld her wegen des Drucksachenportos aber durchaus machbar.

Versteigerungsfähige Titel und besonderes Fachgebiet sind aussortiert. Jetzt geht es beim Antiquar, wir sind immer noch bei der Eingangssortierung der Neuankäufe, nicht anders zu als in der "Verwurfabteilung" einer Brief- oder Päckchensortieranlage alten Stils - wir haben eine Billy-, besser Sten-Regalanlage so umgebaut, daß wir von einem kleinen Sortiertisch aus unsere 50-80 Sachgruppen-Ablageplätze in Reichweite haben. Dazu konstruiert man aus den - solide miteinander verschraubten - ganzen Regalen um den Arbeitstisch herum Drei- oder Vierecke (auf die Bodenbelastung achten). Wahrscheinlich wird jeder lieber im Stehen sortieren, deshalb sollte der Arbeitstisch hier nur klein sein. Jedes "Sortierfach" sollte für 10-15 Titel Raum bieten. Bei Billy oder Sten 2-3 Sachgebiete je Brett, also je Regal rd. 15 Sachgebiete, 5 Regale sollten es insgesamt schon sein.

Ist das jeweilige "Fach" voll, wird der Bestand in ein "Rücksortierfach" getragen, das ist dann weiter entfernt und so bemessen, daß es Platz für 40-50 Titel eines Sachgebiets hat. Die Regalplätze markieren wir in der Versuchsphase, bis wir feste Regeln erprobt haben, b e w e g l i c h, und zwar mit A4-Blättern, die wir in der kürzeren Kante einer Seite etwa 2 cm einknicken (die Dicke der Billy- und Sten-Bretter), wir beschriften sie in dieser entstandenen 2cm-Klappe mit Nummer und Sachgruppe, etwa "72 Jagd, Forst, Hund, Pferd".

Wer seiner Druckschrift nicht traut, schreibt und druckt die Zettel mit Arial fett 24 Punkt über Laser aus (wegen der Wasserfestigkeit), die erste Ordnungsstufe mit hellgelben, die zweite (Rücklager-)Stufe mit lindgrünem A4-Papier. Umknicken wie erwähnt, die Bücher liegen auf dem Ordnungspapier.

Sind von einem Gebiet 15 - 25 - 30 Titel beisammen, dann fertigt man ein Konvolut. Manches entfällt, anderes ist doppelt und wird zum nächsten Konvolut geschlagen. Auch wird man verschiedene Auflagen desselben Werks nicht in ein Konvolut tun. Die Konvolut-Zusammenstellung erfordert, wir sagten das im letzten Aufsatz schon, große Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl. Eine geschickte und vor allem sachlich richtige Zusammenstellung entscheidet über den Verkauf, weist den Antiquar bezüglich seiner Sachkenntnis oder Blödheit sehr schnell aus.

Ich habe es, von Verdachtsfällen abgesehen, aufgegeben, die Einzelwerte der Titel zu notieren und zu addieren. Das stellt man Pi mal Daumen zusammen, rechnet 30 % vom ZVAB-Wert im Kopf, ganz grob, fertig ist der Konvolutpreis.

Ein ernstes Wort zum Zustand der Titel. Beim neuen System ist der Kunde in weit höherem Maß als bisher angewiesen auf die Ehrlichkeit und den klaren Blick des Antiquars bezüglich des Zustands. Echte Mängelexemplare bietet man deshalb besser nicht im Konvolut an. Besonders schöne oder auch leicht mangelhafte Titel versieht man mit knappen Stummelsätzchen wie *ladenfrisch erhalten" oder "zu Anfang etwas stockfleckig" - mehr nicht, und in der Regel kommentiert man den Titel gar nicht.

Fortlaufende Numerierung der Titel im Angebot ist notwendig. Die nach meinem 45-Sekunden-System, siehe den Aufsatz von vorgestern, über GVK usw. einzukopierenden Titelaufnahmen sind, anders als früher, in aller Regel exzellent. Die wenigen Ausnahmen erkennt man fast immer am Fehlen der Seitenzahl, dann schreibt man auch mal selber. - Nicht gut sind die Titelaufnahmen der Staatsbibliothek Berlin, noch schlechter die der Deutschen Bücherei Leipzig, aber diese beiden können wir ohnehin nicht nutzen. Die Titelaufnahmen im ZVAB sind zwar oft ausführlicher und informativer als die nüchternen Regelaufnahmen im GVK usw., aber sie sind weitgehend regellos, ungeordnet, in sich meist ein Greuel für d e n Nutzer, der schnell klare Titelaufnahmen überfliegen will.

Ich habe ein Scan-System entwickelt, das auf der Verwendung eines schnellen A3-Scanners beruht. In Schräglage (schräg zu den rechten Winkeln, ansonsten natürlich flach aufliegend!) können so 4-5 Titel (Deckel) auf einmal und in einem Bild teilweise bzw. ganz gescannt werden. Näheres hierzu in einem weiteren Tutorial. Wie auch immer, es sollte, auch mit Bildvergrößerung, j e d e r Titel im Rahmen von Gruppen-Scans für den Kunden in der Aufsicht deutlich zu erkennen sein. Aber 3-4 in einem Zug mit einem schnellen Scanner zu "erledigen". Keine Fotos! Nur so funktioniert das neue System!

Zurück zur Ordnung und Lagerung. Früher kamen die Titel nach der Grundordnung direkt ins Sachgebiet im Laden, mehr oder minder auch nur annähernd geordnet, man wollte ja nicht dauernd "schieben". Was nun wichtig ist: Der Kunde kaufte damals überwiegend nicht Einzeltitel (wir sprechen von billigeren Büchern), sondern eben - - Konvolute! 4, 5, auch 10 Titel in der Tasche, die bekam er dann teils mit großem Rabatt.

Früher war der Konvolutkauf im mittleren und kleineren Antiquariat nicht die Ausnahme, sondern die Regel!

Wir kehren also mit unserer neuen Methode zu einer Verkaufstechnik zurück, die im alten Ladenantiquariat bis vor etwa 40 Jahren absolut üblich war.

Fazit: Konvolutkäufe entsprechen sehr wohl der Mentalität des typischen Büchersammlers, w e n n eine Reihe von Grundbedingungen dabei eingehalten werden.



Dank für die Verwendungsmöglichkeit des 2. Bildes geht an www.library-mistress.net, denen das Foto gehört.