Freitag, 29. Januar 2010

Umbau der Bücherportale: Revolution unseres Absatzes durch Konvolutangebote

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Antiquarinnen aus Kiel und anderswo beim Ermitteln von Mondpreisen





Der folgende Text ist nüchtern und unfreundlich. Das läßt sich kaum anders machen angesichts des Themas.




1.
Was ich darlegen möchte, geht auf eine ganze Batterie von Versuchen zurück. Als gelernter Soziologe weiß ich halbwegs, wie trickreich und vielfältig man Experimente im Sozialbereich planen muß, wo die notorischen Fallen und Untiefen lauern und wie man das riskante Hilfmittel der Statistik vernünftig einsetzt. Sie werden mir das zutrauen, ich erspare Ihnen also die genaue Darlegung der Versuchsabläufe, die den folgenden Überlegungen zugrundeliegen, und komme flugs zu den Ergebnissen.


Zunächst einige notwendige Abgrenzungen. Wir sprechen im Folgenden n i c h t von Titeln, die von ihrem Wert her versteigerungsfähig sind. Bei vorsichtigem Ansatz schließen wir also Titel über 100 Euro aus.

Ebenso grenze ich Titel aus besonders attraktiven, gesuchten Sachgebieten aus, auch dann, wenn ihr Wert weit geringer als 100 Euro sein sollte. Jedes Buch, das etwa zum Thema Heraldik, Eisenbahnpraxis, Heidegger oder ältere bayerische Ortskunde eingeordnet werden kann, genießt als weißer Rabe Sonderrechte. Leider sind das bestenfalls 2-3 % unserer Bücher. Möglicherweise sollten auch Bücher, die vom Druckdatum her jünger als etwa 10 Jahre sind, ausgenommen werden, freilich habe ich da meine Zweifel. Ganz gewiß ausgenommen von den folgenden Betrachtungen ist der Bestand unserer *echten* Fachantiquare mit ausgewiesenen Fachbeständen.

Was dann übrig bleibt, wenn wir alle diese Ausnahmen anwenden, sind mindestens noch 90 % unseres Bestandes.

2.
Für diese 90 % gilt, daß ihr Absatz über die Bücherdatenbanken zur Zeit in beschämender, ja in erschreckender Weise gering ist. Je weiter das Druckdatum zurückliegt, desto schäbiger ist die Verkaufsquote. Bei solide bibliographierten und dargestellten, sorgsam im unteren Preisniveau angesiedelten Titeln mittlerer Sachgebiete vor 1933 sinkt der Absatz auf unter 1 %. (Für die dunklen Jahre 1933-1945 gelten, man weiß das, komplizierte Sonderregeln, was den Absatz betrifft.)

Eine Absatzmarge von unter 1 % für die oben eingegrenzten 90 % unserer Buchbestände ist ganz einfach grauenhaft! Diese Tatsache macht das Einstellen, die Titelaufnahme und das Verwalten unserer Ware nicht nur betriebswirtschaftlich sinnlos, nein, weit ärger - sie macht uns zu lächerlichen, dummen, genasführten Halbdebilen, zu Idioten der Volkswirtschaft, zu naiven Hansele vom Land. Denn jede Regeldetri-Rechnung führte uns das Sinnlose solchen Tuns vor Augen, wenn wir nur hinsehen w o l l t e n. Aber was geschieht? Durch Querfinanzierung, also durch Verrechnen mit den Erträgen aus den oben benannten 10 %, vernebeln wir uns selber den Blick auf die Realitäten.

Unsere poetischen Kollegen Plocher und Wimbauer beim Nachdenken über Mondpreise

Ich wollte das zunächst einfach nicht glauben, zumal man von Kollegen, aus mehreren Gründen, einfach keine klaren Auskünfte dazu bekommt - die Scham, sich in die Karten blicken zu lassen, zuzugeben, daß man sich selber was vormacht, dürfte das Hauptmotiv für solche Verschwiegenheit sein. Also schob ich mehrere Versuche nach, ließ es auch an Fotos nicht fehlen, kontrollierte die Preise noch schärfer - gleiches Ergebnis.

In Klammern: Wenn die Datenbanken ihre Umsätze veröffentlichen, die ja doch recht beachtlich sind, dann verschweigen sie, daß es sich fast ausschließlich um Verkäufe aus den oben erwähnten 10 % des Gesamtbestands handelt. Alles andere liegt wie Blei, und das schon seit Jahren.

3.
Was ist der Grund hierfür?

Es kann sich nicht darum handeln, daß unsere Bücherportale "unbekannt" seien. Etwa das ZVAB ist, trotz seines hirnrissigen Kürzelnamens, bestens bekannt unter vielen bücherkaufenden Menschen. Auch ist der Erwerb von Büchern übers Internet bei Neubüchern so selbstverständlich geworden, daß ein "Fremdeln" vor diesem Vertriebsweg bei Altbüchern nicht der Grund sein kann. Auch nicht der "hohe Preis", denn immer wieder wurden Versuche mit teils radikalen Preissenkungen gemacht, ohne daß sich der Absatz der älteren Bücher dadurch wesentlich verbessert hätte.

Wenn er die nötige Taktlosigkeit aufzubringen vermag, dann kann jeder von uns den Grund der Absatzmisere empirisch selber feststellen. Er muß nur das bibliographische und überhaupt das historische Wissen unserer Kunden, immer bezogen auf ihre Interessensgebiete, abfragen. Für mich hat sich, der ich (leider) nie gehindert bin durch irgendwelchen menschlichen Takt, bei den allermeisten Kunden ergeben, daß ihre

*retrobibliographische Kenntnis, bezogen auf ihr Sammel- und Interessensgebiet,

von ganz bestürzender Dürftigkeit ist, ja sehr oft gänzlich fehlt.

Die guten Leute, egal ob Hobbyforscher oder Universitätsprofessor, können jene älteren Titel, die wir ihnen so liebevoll aufgedröselt anbieten, also gar nicht in der Datenbank aufsuchen und bestellen, weil sie sie nicht kennen. Selbst wenn sie sie vom Verfasser oder Titel her zu benennen in der Lage sind, kennen sie nicht den Inhalt oder - wichtiger - die Bedeutung, den Wert des Buchs innerhalb ihres Fach- oder Sammelgebietes.

Wir müssen das visualisieren, es uns immer wieder vor Augen führen: Den Titel, den wir gerade aufnehmen und ins Netz stellen, kann auch der Fachnutzer, auch der Sachgebietssammler sehr oft in seiner Bedeutung nicht einordnen, ja - er kann ihn nicht einmal benennen, ihn nicht ermitteln.

Was tun, wenn das so sein sollte? (Nehmen Sie Gift darauf, es i s t so).

Die Datenbanken kennen das Problem natürlich, verschweigen uns dieses ihr Wissen aber fast immer. Sie wenden Krücken an wie "Sachgebietssuche", "Indices", die aber in aller Regel untauglich sind. Wer wird 850 Titel zur "provinzialrömischen Archäologie" durchscrollen mögen? Wer findet sich zurecht in den im Lauf der Jahrzehnte längst ganz veränderten Terminologiegebäuden eines vergangenen Jahrhunderts?

4.
Ich darf Sie zu einem Exkurs bitten. Zwei Faktoren berücksichtigen wir viel zu wenig in unseren Geschäftsüberlegungen - die Kosten und den Zeitaufwand für den Versand und die Faktura.

Wer sich als Sammler einen Buchbestand übers Internet durch Einzelbestellung von Titeln zusammenkauft, der hat eine ganz beachtliche Portobelastung zu tragen, und das für jedes Buch einzeln. Und unser Zeitaufwand beim Versand, den wir auch nur teilweise delegieren können, ist in der Summe gewaltig - weil die Zeit für jedes Buch einzeln immer wieder neu aufzubringen ist.

5.
Das Ergebnis aller meiner Versuche ist: Das gesamte Absatzsystem muß geändert werden, soweit es die 90 % unserer Buchbestände, die wir oben definiert haben, betrifft. Die Änderung, die ich vorschlage, ist ebenso radikal wie wirksam:

Das Antiquariat muß vom Einzelbuchangebot, vom Einzelbuchversand übergehen, umwechseln zum Angebot von

*Sachgebietslosen.

Das kommt dem Käufer entgegen, der (noch) gar nicht weiß, welche älteren Titel seines Sachgebiets es gibt, der aber weiß, daß ihn im Grunde genommen "alles" dazu interessiert.

Das Losangebot sieht so aus, daß im 45-Sekunden-Verfahren, von dem wir im vorherigen Blogbeitrag sprachen, eine numerierte Liste der angebotenen Sachgebietstitel erstellt wird. Dazu werden einige Fotos angefertigt, dann wird ein Gesamtpreis gebildet.

Der Antiquar geht also in Zukunft so vor:

a) er gliedert den Gesamtrbestand und alle Neuerwerbungen nach vernünftigen, der Sammlerrealität entsprechenden Groß- und Kleingebieten. Beim mittleren Antiquar werden das etwa 80 Gruppen sein.

b) die oben ausgegrenzten 10 % der Titel bearbeitet er wie bisher einzeln. Den ganzen Rest sammelt er einige Zeit an, bis er etwa 10-20-30 Titel eines Fach-/Sammelgebiets hat. Er listet die Titel (45 sec-Verfahren) auf, macht einige Scans und bildet einen Konvolutpreis.

c) die Datenbank der Zukunft zeigt nur noch teure bzw.besondere E i n z e l titel an; die restlichen 90 % biete sie in Form von K o n v o l u t e n an.

6.
Soweit, so einsichtig. Wo liegen dann die Probleme? Zunächst darin, daß wir den Preis je Einzelbuch der 90 %-Sorte um rd. 50-70 % senken müssen. Dieser Schritt ist ohnehin überfällig. Es darf nicht weiter ein Apothekenpreisniveau in den Bücherdatenbanken geben und ein anderes, billigeres, bei Ebay. Ebay stellt in vielen Fällen wirklich den Marktpreis nach Angebot und Nachfrage her, nicht immer, aber oft.

Wenn es uns gelingt, die Kunden zum Konvoluterwerb zu führen, sie daran zu gewöhnen, auch einmal Titel mehrfach zu besitzen, auch weniger gesuchte Titel mit zu erwerben, dann revolutioniert das den jetzt so quälend stagnierenden Absatz der älteren 90 %. Die notwendige, schmerzliche Preissenkung ist das allemal wert.

rechts: auch Mondpreise (nein, ich sag nix dazu)

Weil wir dann nichtstrukturierte Titelaufnahmen einreichen können, halbiert sich die Titelaufnahmezeit. Antiquare mit schlechter Bücherkenntnis werden viel Zeit damit verbringen müssen, ihre Titel in die richtigen Sachgebiete einzuordnen. Auf diese Weise (und nicht durch den Unfug "qualitätsvoller Titelaufnahmen") schält sich ein Kern kluger, besserer Antiquare heraus, mit guter Bücherkenntnis vom Inhalt her, während die Kistenschieber sehr schnell aufgeben müssen.

Die Kunden, auch solche, die bisher sehr konservative Käufer waren, lassen sich nach Überwinden einer ersten Hemmschnelle erstaunlich gut an den neuen Vertriebsweg gewöhnen. Steckt doch in jedem Büchersammler auch ein wenig der Bibliothekar und der Händler. Der Umgang mit Konvoluten macht Spaß!

7.
Ich glaube meine Kollegen gut genug zu kennen, um nicht zu befürchten, daß es einen Grund gibt für beharrliche Verweigerung der neuen Vertriebsmethode - nämlich daß sie in eine radikale Preissenkung der älteren 90 %-Bestände einwilligen müssen. Das Gegenmittel ist eine gründliche Analyse des jetzigen Absatzes eben dieser Titel. Wenn die vorgenommen wird, dann willigt der Antiquar nicht nur zähneknirschend ein, nein - er akzeptiert das neue System mit fliegenden Fahnen.

Die Zeit des Einzelabsatzes unserer oben definierten 90 %- Titel an universitäre oer andere Fachgebiets-Büchereien ist weitgehend vorbei. Auf Einzelbestellungen durch Privatkunden ist noch weniger zu hoffen. - Auf die neue Weise werden wir auch der unerträglichen Mehrfachtitel Herr, die noch zusätzlich den Absatz der Altbestände blockieren. Boehn, der Tanz...

Zu neuen Ufern also? Ganz sicher, ja! Auch weil wir dann mehr Zeit und Liebe aufbringen können für die verbleibenden, obengenannten 10 % derjenigen Bücher, die unsere Aufmerksamkeit vom Absatz und Wert her verdienen.

Einen mahnenden Zeigefinger muß ich noch erheben - wer da glaubt, sich auch noch die 45 sec. der exakten Titelaufnahme nach Schema Citavi/Wiesler/Mulzer sparen zu können, wer also einfach "20 vermischte ältere Titel zur Elektrotechnik" anzubieten gedenkt - der erleidet Schiffbruch. Das System des Konvolutverkaufs erfordert zwingend exakte, kurze Titelbestimmung und Volltextsuche seitens der Datenbank in allen aufgelisteten Titeln jedes Konvoluts.


Das ist nun ein trockener, öder Beitrag geworden. Da wäre es beim Kollegen Plocher jetzt viel gemütlicher, bei Wimbauer literarischer und sogar bei RFMeyer erhellender. Alte Krokodile sind eher unpoetisch.