Dienstag, 13. Oktober 2009

Antisemitische Schönfärberei beim Börsenverein - auf ein Neues?

Vorsicht: Dieser Beitrag wurde inzwischen - Mitte 2011 - schon weitgehend von der Entwicklung überholt:
Inzwischen hat der Börsenverein eine sehr erfreuliche Kurskorrektur vorgenommen und den Eindruck, der damals entstehen mußte, energisch zurechtgerückt bzw. aufgearbeitet.


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An dieser Stelle mußte vor einigen Wochen ein Aufsatz der Herren Bach und Biester in der dem Börsenverein des Buchhandels eng verbundenen Fachzeitschrift "Aus dem Antiquariat" wegen verniedlichender, verfälschender Tendenzen getadelt werden. Da wurden unsere jüdischen Kollegen 1933-1941 nicht verjagt, nicht vertrieben, nicht entrechtet, nicht aus dem Land geekelt, sondern, o Wunder, nach Lesart des Börsenvereins handelte es sich um eine "Auswanderung", die jüdischen Antiquare "gingen" nach England, sie "fuhren" nach London, sie zogen um - eine selten widerliche Geschichtsfälschung in der T e n d e n z.

Man soll keine Verschwörungstheorien aufstellen. Ich hatte deshalb darauf verzichtet, Björn Biester, den Mitverfasser jenes Tendenzstücks, näher zu befragen, inwieweit ein neuerer, seltsam distanz- und kritikloser Beitrag über seinen Besuch in der Buchmesse eines umstrittenen arabischen Scheichtums mit solcher Geschichtsklitterung in Verbindung stehen könnte. Haben die Frankfurter ihren alten, leider immer zu beobachtenden Antisemitismus neu entdeckt, werden die Juden ein zweites Mal, diesmal geistig, in den Markthallen am Hafen zusammengetrieben - und Frankfurt schweigt?

Björn Biester ist heute verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" und zugleich der Antiquariatsabteilung des Netzdienstes des "Börsenblatt für den deutschen Buchhandel", mithin über kurze organisatorische Umwege ein nicht unwichtiger Mitverantwortlicher beim Frankfurter Börsenverein.

Ich habe mich gewundert über seinen Unwillen, Stellung zu beziehen, sich in irgendeiner Form zu entschuldigen über jenen ersten Aufsatz - immerhin hatte er uns, in der bis vor einigen Wochen als Netzblatt-Rubrik fest installierten Twitterabteilung des Börsenvereins-Netzdienstes, selber ausdrücklich auf seinen alten Beitrag aufmerksam gemacht. Warum fühlte er sich veranlaßt, uns jene peinliche alte Arbeit neu vorzustellen? Über alte Sünden läßt man sonst doch lieber Gras wachsen.

Beim Börsenverein bügeln sie Pannen anders aus. Mit leisem Lächeln registrierten wir das hastige Ankündigen eines - diesmal hoffentlich gerechteren - Beitrags über Antiquare im dritten Reich, der nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, alles wieder ins rechte Lot bringen soll.

In der von Biester verantworteten Antiquariatsabteilung des Netzdienstes ist n i c h t s im Lot. Wir müssen dort heute lesen, ich zitiere:

"Felix Rosenthal, Bruder von Albi und Bernard Rosenthal, wurde im Januar 1917 in München geboren und wanderte 1933 nach Florenz, die Heimatstadt seiner Mutter Margherita Olschki, aus. Über Frankreich, die Schweiz und Chile gelang ihm nach Kriegsausbruch die Übersiedlung in die USA, wo er nach drei Jahren Armeedienst an der University of California Berkeley Architektur studierte und während seines Studiums unter anderem als Assistent von Erich Mendelsohn arbeitete."

Will uns Biester ein weiteres Mal einflüstern, es habe sich bei diesem Hinausekeln, Diskriminieren, Verächtlichmachen, Verdächtigen und Kränken, über das inzwischen jedes Kind Bescheid wissen sollte - - um was bitte gehandelt? Nach Biesters Lesart um - - A u s w a n d e r u n g. Und wie fröhlich-selbstverständlich spricht er von der Ü b e r s i e d l u n g in die USA. Ach, wie nett.

Notabene, man kann zur Not diese verniedlichenden harmlosen Ausdrücke wählen, wenn man ansonsten den Rahmen klar abgesteckt hat, wenn die Vertreibung eindeutig als solche bezeichnet worden ist, wenn Peinlichkeiten nicht untergeschoben wurden. Davon durfte hier aber keine Rede sein, im Gegenteil: Die Redaktion kannte meine Kritik an jenem alten, von Biester selbst neu vorgestellten Aufsatz sehr genau, sie war vorgewarnt. Hat sie diesmal peinliche Tenzenzen vermieden? Nein, nicht die Spur.

Wie das Fachkollegen in den USA sehen, darf ich anhand eines zufällig ausgewählten Quellenbelegs aufzeigen, in dem die Biographie Rosenbergs kurz erwähnt wird:


" and that, as a refugee from Nazi Germany,"

http://sunsite.berkeley.edu/uchistory/archives_exhibits/loyaltyoath/symposium/rosenthal.html

Dies ist in der Tat noch die mildeste, schonendste Bezeichnung, die für jene (sic) "Auswanderung", "Übersiedlung" richtig anzuwenden wäre. Zumal ja doch der Kontext zählt - wir lasen bei Biester ständig von "er ging", "er fuhr", "kam er nach..." und wie die Formulierungen, die man eher in der National- und Soldatenzeitung oder in Rosenbergs Schmierbüchern erwartet hätte, lauteten.

Die reichlich komplizierten Familienverhältnisse der Rosenthals entschuldigen gar nichts, denn im Netz kann man sich flugs informieren. Ein Beispiel:

Felix Rosenthal, son of Erwin Rosenthal, and brother of antiquarian booksellers Albi and Bernard Rosenthal, was director of L'Art Ancien, Zurich, for a number of years (there is further information about the Rosenthal brothers in. Bernard Rosenthal's "Cartel, Clan or Dynasty" in this catalog)

E i n Blick in die Hetz- und Parteipresse 1932/33, eine flüchtige Recherche in den streckenweise zu braunen Haßkloaken verkommenen Fachzeitschriften des deutschen Buchhandels jener Monate belehrt auch den flüchtigsten Schreiber eines Besseren, der da eine "Auswanderungs"-Mythe konstruieren möchte. Vertreibung ist nicht Auswanderung.


Ich fordere: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels muß sich distanzieren von der nun schon wiederholt in seinen Organen aufgestellten Verfälschungs- und Lügenthese, es habe sich bei der Entrechtung, Diffamierung und Vertreibung der deutsch-jüdischen Antiquare um "Auswanderung" gehandelt.

Wir haben unsere jüdischen Kollegen im schlimmsten Sinn des Worts v e r t r i e b e n.

Wer sich nicht vertreiben ließ, wer nicht die Flucht antrat, den haben wir - "wir" als Nation, als Staatsmacht - dann vergast.

Wohin führt solche Schreib- und Denkweise in der sprachlichen Konsequenz?

"Er (unser jüdischer Kollege) ging in die Gaskammer"

Denn so schreiben sie dann auch noch, warte nur balde, in Frankfurt, bei den Hilfsdiensten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Das dürfen wir nicht zulassen.




Anmerkung: Es ist nicht damit getan, daß der Börsenverein - wir haben Beispiele -flugs, still und leise den inkriminierten Text ändert. Das wäre feige. Journalistische Regeln gelten auch im Internet: Klarstellung und Entschuldigung an gleicher Stelle, nämlich im Netzdienst des Börsenvereins, sind jetzt wahrlich am Platz.



Die Rechte an dem Scan der Heartfield-Collage in der A.I.Z. (Prag) liegen beim Deutschen Historischen Museum in Berlin. Wir bedanken uns für die Verwendungsmöglichkeit.