Samstag, 6. Juni 2009

Strategie: Vom Grufti-Katalog zur Edelware-Datenbank




Würde man mich auffordern, den bedauerlichsten, folgenschwersten Mangel in den gegenwärtigen Diskussionen der Kollegen zu benennen, dann müßte ich nicht lang nachdenken: Den Antiquaren fehlt auf allen Ebenen ein gesunder, praktischer Sinn für

*strategisches Denken.

Es scheint ungeheuer schwer, vom Eingesponnensein in philosophisch-kulturkritische Welten (Kollege RF Meyer), vom Egoismus des biederen Kaufmanns (Fraktion Köln/ Düsseldorf), vom abgehobenen Edelmenschentum (die Redakteure des Grufti-Katalogs), von der mechanischen Geschäftigkeit ohne höhere Weihen (bookmarathon), vom Resignieren und Brav für den Tag-Arbeiten (die meisten anderen Kollegen) bis hin zur unbegreiflichen klösterlichen Selbstzucht (begabter Literat verbringt seine Tage mit Titelaufnahme, lachenden Gesichts: Koll. Wimbauer), - von all diesen Sonderformen also zu einer ganz einfachen Grundhaltung zu gelangen, die da fragen würde:

Wo stehen wir - was sind unsere Sorgen für die Zukunft, was sind unsere Chancen - wie gewichte ich sie - was muß ich demnach tun, in welcher Reihenfolge, um wohin zu gelangen?

Zu deutsch heißt das dann "Strategisches Denken".


Versuchen wirs Schrittchen für Schrittchen, knapp und bröckelesweise. Denn - mir eines der unerklärlichsten Phänomene - ausgerechnet die Antiquare, die mit Lesestoff ihr Lebtag handeln, haben eine gewaltige Scheu, längere Texte zu lesen.

Die Ausgangslage dürfte, ziemlich unbestritten, so zu beschreiben sein:

1.
Wir Buchantiquare sitzen auf einem in diesem Umfang bisher - und auch jetzt noch - kaum geahnten Bücherberg. Der Buchbestand dürfte bei etwa 10 Millionen Titeln liegen, die (um das immer etwas verfälschende Moderne Antiquariat in allen seinen Gestalten auszuschließen) älter als 10 Jahre sind.

Von diesen 10 Millionen Büchern sind gesuchte Sammelgebiete und wertvolle Stücke (diese soweit zu passablem Preis angeboten) gut zu verkaufen. Der Abverkauf der restlichen mindestens 9,9 Millionen Titel beschränkt sich auf regelmäßig tröpfelnde Zufallsbestellungen, wie sie bei dieser Titelmenge immer hereinkommen.

Ich rede dieses System nicht schlecht. Wir dürfen froh sein, daß es den tröpfelnden Wasserhahn dieser Zufallsverkäufe gibt - die meisten von uns leben genau davon (noch).

Aber wir müssen erkennen, daß ein Gewerbe von rund 1000 Köpfen, das 99 % seines Lagerbestands als dauerhaft unverkäuflich betrachten muß, irgendetwas falsch macht.

Was hilft da? Natürlich die Absatzförderung. Der Organismus "Antiquariat" braucht ein gutes Abführmittel. Wir tragen alle einen Blähbauch mit uns herum. Das zeitigt, übrigens auch seelisch, die bekannten Folgen: Depression, schleichende Vergiftung von Leber und Niere, Miesepetrigkeit, Aggressivität, Denkunlust. Man befrage die ältere Damenwelt, die gibt da gern Auskunft.

2.
Das gilt in weit geringerem Maß für die seltenen, bibliophilen Titel. Sie sind, wenn auch mit teils recht bedauerlichen Werteinbußen im unteren Mittelfeld (Sven Hedin, Baedeker, Stahlstichgraphik...), zuhanden der Sammler-Kunden weiterhin flott absetzbar.

Weil das so ist, blicken viele Edelantiquare, ja: blickt der ganze Verband weitgehend verständnislos zu den gewöhnlichen Antiquaren hinüber und versteht ihre Sorgen nicht.Was wollen die eigentlich mit ihrem Gejammere von fehlender Absatzförderung? Das System der Edelkollegen mit Messen, Edel-Listen (die dann Redakteur Biester mit verzücktem St.Aloysius-Lächeln himmelwärtsblickend beschreibt) und Versteigerungen klappt ja hinlänglich.

Freilich. Aber man stößt auch im Edelbereich an seine Grenzen. Der Absatz der Ware aus dem Grufti-Katalog der GIAQ soll, trotz Köstlers nichtssagendem Vorwort, dramatisch schlecht sein - gute Präsentation ist also wichtig, es gibt keinen Weg zurück, graue Textwüsten für bibliophile Allesfresser verlocken keinen zum Bestellen.

Es gilt also auch für die Edelantiquiare, sich Gedanken zu machen über moderne Präsentationsformen. Der Verband hat eine solch unglückliche Hand mit seiner Datenbank, daß es Gott erbarm, und offenbar kommt er da auf internationaler Ebene auch nicht voran. Die Versteigerer belauern und bedrohen den Edelantiquar in ähnlich mißgünstiger Weise wie Ebay den ZVAB-Versandantiquar.

3.
Bis hierhin haben wir noch keine Strategie betrieben, sondern die Voraussetzungen dazu halbwegs sortiert. Nun lade ich Sie zu einem ersten Denkschritt ein:

Der Grufti-Katalog ist so ungeheuer lehrreich für das Edelantiquariat, weil er präzise aufzeigt, wohin der Weg nicht führen kann und nicht darf. Ich habe, siehe einige Beiträge weiter unten, in etwa 10 Punkten aufgezeigt, wie hier wirklich alles, von der ersten Planung an, falsch, schief, verkümmert und verquer organisiert worden ist. Fazit: Es gibt keinen Schritt zurück ins Vor-Internet-Zeitalter, schon gar nicht für das Edelantiquariat (welches wir auch bibliophiles" Antiquariat nennen können, aber erstens ist dieser Begriff an sich verwaschen und zweitens soll man Fremdwörter meiden).

Was stört uns Internet-Menschen denn an der mausgrauen Textwüste, die die Unglücksraben aus der Lüneburger Heide et aliq. in den Sand gesetzt haben? Bei den seltenen, teuren Titeln mehr als anderswo sind es die fehlenden (Farb-)Bilder (jaja, Koll. Heuberger, das "Haptische", soweit der Blick, das Auge, haptisch zupacken kann - es kann!). Wir wollen solche komplexen interessanten Buchgebilde sehen dürfen, von allen Seiten, und auch innen. Das aufgeklappte Buch hat etwas von der geöffneten Scham, es ist allemal ein lustvoll-eindringendes Erlebnis, wenn auch nur fürs Auge, wenn ich den rosa Tempel der Lüste, den Altar des Mysteriums, die Weihegabe der Jungfrau öffnen, aufklappen darf.

Ist das obszön? Wer das leise Schnauben, die Glitzeraugen, die gespielte Gleichgültigkeit der echten Bibliophilen beim Öffnen der Ziele ihrer geheimen Lust beobachtet, der weiß bald um jenen besonderen Charakter der Bibliophilie.

Aber kommen wir nicht vom Thema ab (auch wenn das ein spannendes Gebiet ist, über das "Aus dem Antiquaruiat" nie, nie, nie berichten wird...) und beschränken wir uns auf eine überraschende Parallele: Was für das Gebiet der Lust die Pornographie, besonders die fotographische, ist, das erotisch-sexuelle Lichtbild, das ist für den Bibliophilen die eindringliche(!), klare, gut ausgeleuchtete Ablichtung des Äußeren und Inneren seines teuren Buchs.

Diese Fotomanie des Käufers, des Interessenten bibliophiler Titel verhehlen die Versteigerer mit großer Sorgfalt, denn hier wittern sie jene Technik, die sie eines Tages brotlos machen könnte. Aber täppische Versuche wie die völlig mißglückte Hamburger Edelware-Datenbank, wir erinnern uns nun fast schon wieder mit stiller Rührung, und manche Edelware-Inszenierung bei Ebay, dem Gottseibeiuns aller Edelwarehändler und Auktionatoren, lassen schon ahnen, wohin die Reise gehen könnte.

Nämlich zu einer zentralen, fotographisch üppig ausgestatteten, gut redigierten Datenbank für Edelware - - die sowohl Ebay als auch die großen Versteigerer ausbooten bzw, ersetzen würde.

Man nehme die an sich ganz ausgezeichneten Beschreibungen unseres Grufti-Sandbergs (jämmerlich sind die Organisationsfehler des Grufti-Katalogs gerade wegen der tadellosen Textqualität, hinter der die dergestalt verratene, verspielte Mühe der Kollegen steckt), ergänze sie mit jeweils mindestens drei bis vier sehr guten Farbscans, bis auf Bildschirmgröße darstellbar am heimischen Computer - - was für einen faszinierenden Bildschirmkatalog würden wir nicht besitzen!

4.
Nun bitte ich Sie, einen Gedankensprung mitzumachen.

Erstens geht es bei einem Edelware-Netzkatalog darum, Titel zu verkaufen. Zweitens geht es aber auch darum, ein Image (mit der guten Ware, durch die guten Beschreibungen und Fotos) herzustellen (das Koll. Kretzer dann aber nicht mit unsäglichen Geschäftsbedingungswüsten und -schachtelungen zernichten darf).

Dieser Edelware-Netzkatalog sollte nicht untergehen in einem allgemeinen Bücherkatalog - o schreckliche Idee der Quack, diesen Katalog einfach nur später "einzuspeisen" in ihren Feldwaldwiesen-Netzkatalog -, sondern er muß als Keimzelle eines künftigen beständig gepflegten Edelware-Netzkatalogs verstanden, beworben und ausgebaut werden.

Dieser Edelkatalog ist dann aber ganz eng verlinkt und verbunden mit dem allgemeinen Bücherkatalog. Wir haben sodann als untrennbare siamesische Zwillinge den Edelkatalog (Norm: 3-4 sehr gute Scans, Mindestpreis 100 Eur je Titel) und den allgemeinen Bücherkatalog. Da bieten sich sogar Verweissysteme an oder eine Doppelaufnahme, mit verminderter Fotozahl, sodaß der Nutzer des allgemeinen Katalogs zum Edelwarekatalog wechsel *muß*.


Natürlich haben wir damit mehrere strategische Ziele im Auge. Zunächst:

Der Edelwarekatalog ist Imageträger und Werbeinstrument für den allgemeinen Bücherkatalog.


Damit haben wir eine erste strategische Position erreicht. Es ist dies natürlich nur ein kleiner Schritt hin zur gemeinsamen großen Aufgabe: Absatzförderung unserer schwer verkäuflichen Titel, Eroberung neuer Käuferschichten.



Das Buchdeckelbild gehört dem herausgebenden Verlag. Wird auf einfache Anforderung hin sofort entfernt. Es zeigt einen unbekannten Frankfurter Redakteur beim Schlußvortrag in der Buchhändlerschule, zeigt es nicht?