Montag, 22. Juni 2009

Das Buch als Hure, seine Zuhälter - und wir Antiquare




Das gedruckte Buch ist tot - es lebe das digitalisierte Buch!



Es ist schon erstaunlich, welch engagierte Verteidiger *) jene todkranke Schöne findet, die Gutenberg vor fünf Jahrhunderten und einigen Jahrzehnten ins Leben geführt hat und die nun sterben muß, nachem sie uns gute - und böse Dienste geleistet hat.

Die Schöne hatte zwei Erbübel mit auf die Welt gebracht, beide zeigten sich schon wenige Wochen nach der Geburt, sie begleiten Fräulein Buch seither bis heute und sie sind es, die uns ihr nahes Ende freudig erwarten lassen.



1.
Die Schöne war und ist nämlich käuflich. Wer wüßte uns das besser zu berichten als die Herren Gutenberg, Schöffer und Fust. Schon als Wickelkind war sie auf widerlichste Weise eingebunden in groteske, schmähliche Geldhändel. Die Frühgeschichte des Buchdrucks ist eine Lastergeschichte der Beutelschneiderei, der Ausnützerei, der Zins-, Schuldturm- und Prasserwirtschaft.

Dieses Eingebundensein in die Jagd nach dem Golde hat das Buch, den Umgang mit ihm, das Sammeln und Handeln damit vergiftet - bis heute. In dieser neuesten und Spät-Zeit des Buchs wird uns das Gipfel des Widerlichen vorgeführt, Ertragssteigerung der Verlage durch Erpressungsmanöver, Wissensvermittlung, meist aus staatlich bezahlter Forschung, als Schutzgeld-Manövermasse - Führungskräfte aus dem Umkreis der Universitätsbibliothek Basel brandmarken die Absatzschacherei niederländisch-britisch-amerikanischer Naturwissenschaftskraken im Verlagswesen als Erpressung - diese Bezeichnung ist angebracht. Im Biologie-, Physik- und Medizinbereich wird das moderne Verlagswesen ekelerregend. Aus dem Geistesprodukt Buch wird dergestalt, während seine Agonie schon heraufdämmert, rasch noch ein Gewinnobjekt gemacht, dessen Ertrag die Hundertmillionengrenze überschreitet.

Das gedruckte Buch hat alle Stadien der Gold- und Geldperversion mitgemacht, und hätten wir nicht einige soziale Großtaten wie Pfennig-Bibliothek, Reclam, Bertelsmann-Buchklub (o ja, durchaus), Taschenbücher usw. zu verzeichnen, der Ekel würde uns überkommen beim Aussprechen des verächtlichen Namens "Buch".

2.
Die andere Norne, die an der Wiege des Buches stand, hat mit ihm nichts Besseres im Sinn gehabt. Das gedruckte Wort ließ sich ja köstlich manipulieren, zensieren, fälschen und lenken. Die Macht über die Drucker und Offizinen war einfacher und wirkungsvoller zu erlangen und einzusetzen als die über die Schriftsteller. Und so kommt es, daß das gedruckte Buch fast durchgängig folgsamer Büttel, feile Dienstmagd, kurzum die Nutte, die Dirne der Herrschenden war. Rasch sichtbar wird dies in vergifteten Bücherzeiten, ob NS-Regime, Väterchen Stalin oder Axel Springer, ob Salazar oder Metternich, aber durch die unselige Vermischung mit dem Geldfaktor zieht sich die geistige Vergiftung und Unfreiheit auch durch scheinbar unschuldige Zeitläufte.

Wiederum würden wir uns mit Ekel vom Buch abwenden, wären da nicht die Aufmüpfigen, die Mutigen unter den Buchherstellern gewesen, könnten wir uns nicht freuen über Exilliteratur, Freiheitsliebe und klandestine Drucker jeder Art.

3.
Das Internet, sehr poetisch geboren in der tiefsten, krudesten Todesgefahr, im Augenblick des unmittelbar drohenden Selbstmords der Menschheit, aus den Bedürfnissen der Verwalter der Missiles und Neutronenbomben, aus dem Ungeist der Weltvernichtungsmachinen nach Art der "Kursk" oder der "Corpus Christi" (Sie lesen richtig) - es hat uns, keiner hätts gedacht, die beiden bösen Nornen verscheucht. Aus dem nahen Untergang der spezies Mensch hat sich ein Instrument der geistigen Freiheit entwickelt, ein wundervolles, freilich sorgsam zu hütendes Pflänzchen - das digitalisierte Buch im Netz.

Da mag Kollege RF Meyer noch so barmen und pixeln über Qualitätsstufen bei der technischen Reproduktion - er übersieht offenbar den größten Nutzen, den das digitalisierte Buch mit sich bringt. Vielleicht weil er solche nur vermeintlich bescheidenen Aspekte für eine quantité négligeable hält? Oder weil wir, freilich eine Schande das, keinen rechten deutschen Ausdruck dafür haben?

Ich spreche vom Zauberwort "copy and paste". Indem wir mit blitzschneller Markierung, Übertragung, Neuzusammenstellung Herr über die geistige oder ungeistige Urmasse des Textes werden, wandeln wir uns vom Abschreiber, vom Kompilierer, vom ewig Nachschlagenden - zum souveränen Neugestalter, Sammler und Vergleicher der Texte. Frühere mühsame Kärrnerarbeit langer Stunden schrumpft zusammen zu wenigen Minuten copy and paste - und dann kann sogleich das Denken beginnen.

Daß gewisse Regeln beim Zitieren, bestimmte Vorschriften geistiger Natur über die Integrität der Texte beachtet werden müssen, das ist zu machen, muß aber auch durchgesetzt werden. Nichts ist leichter zu vereinbaren und einzuhalten als ein Regelwerk, das die weltweit vernetzte Wissenschaft einmal vereinbart hat.

4.
Die Verleger sind selbst schuld. Nicht daß es nicht rührende Kleinverleger, bemühte Wissenschaftsverleger und andere Idealisten zuhauf geben würde im Bereich der Buchproduktion - aber der Regelfall sieht anders aus. Das internationale Verlagsgeschäft der Großkonzerne ist über weite Strecken zu einer wahren Eiterbeule des Geldschachers, der Ausnutzerei und der Beutelschneiderei geworden - - von der der Autor in aller Regel lächerlich wenig sieht.

Ihm wäre mit einem Abgeltungssystem im Internet weitaus besser gedient. Die ganze widerliche Mischpoke von Großverlegern soll der Teufel holen.

Da kann auch der Börsenverein mit seinen kulturellen und moralischen Zirkusveranstaltungen der Öffentlichkeit nicht weiter Sand in die Augen blasen, wir sehen zu klar, daß in Frankfurt im Rückzugskampf der Verleger gegen das Publizieren im Internet nun

*Geist dem Geld unterworfen

werden soll - das widerlichste Geschäft, das sich denken läßt.

Jeder denkende und fühlende Mensch fordert daher: Schluß mit den Büchern als Geldobjekt. Geistesfreiheit, Lesefreiheit ohne aufgehaltenen Schacherbeutel, im Internet ! Nun kann jeder, auch der Ärmste in Afrika oder Indien, zu den gleichen Bedingungen Teilhabe am Wissen, an der Geistesüberlieferung der Menschheit erlangen.

5.
Fassen wir zusammen:

Die jetzt kommende Entwicklung ist gut. Sie ist nicht ungefährlich, wie alles Neue will sie beobachtet und behutsam geregelt werden. Man muß das neue Bäumchen der Geistesfreiheit (der Befreiung des Geistes vom Gelde und von der Zensur ) treulich hüten, ein wenig beschneiden und regelmäßig gießen.

Zum Teufel geht der Neubuchhandel. Das bedauere ich aufrichtig. Aber er mußte ahnen, er konnte wissen, daß seine unheilige Allianz mit den Verschacherern, mit den Beutelschneidern, mit den "Hütern" des Geistes in Gestalt der Großverleger nicht gutgehen konnte. Mitgefangen, mitgehangen.

Zum Teufel geht das Verlagswesen. Die Mitarbeiter dort werden fast alle gebraucht werden in jenen Verwaltungs- und Regulierungsinstanzen, die Wissenschaftler, Dichter, Künstler, Museen und andere Selbstorganisationen des Netzes einzurichten haben. Da ist mir gar nicht bange.

Und was ist mir uns Antiquaren?

Wir bedienen einmal den Sammlermarkt. "Büchersammeln" muß so allgemein werden wie es früher einmal das Briefmarkensammeln war. Es ist an uns, gemeinsam oganisiert diesen neuen Sammler- und Käufermarkt anzukurbeln. Und zwar nicht (nur) auf der arrogant-elitätren Ebene der Edelantiquare, sondern auf weitaus breiterer Ebene, bis hin zu einfachen Kinderbüchern und billigen Autobiographien.

Es gibt jene interessante Kosten- und Nutzenkurve, die zwischen dem Laser-Selbstdruck mitsamt allen Zeitfaktoren einerseits und dem fertigen, wenn auch gebrauchten Altbuch festgelegt werden kann. Das sind ganz simple Rechnungen. Ich habe da, den Kollegen dient es freilich meist nur zum Ablachen, Pionierarbeit geleistet im Planerischen - etwa durch mein "Haus der alten Bücher" könnten wir auf lange Zeit hinaus auch aus unseren Billigbüchern noch eine bescheidene, aber sichere Nebeneinkommensquelle machen.

Immer aber ist es das "Sammlerbuch", bis hinunter zum 5 Euro-Bereich, das uns auf lange Sicht rettet und das wir mit allen Mitteln ankubeln müssen.

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*) Kollege RF Meyer hat soeben auch eine erweiterte Fassung in seinem eigenen Blog veröffentlicht, 21.6.09

Das Schnappi verdanken wir der Webseite http://www.pet-resimleri.com, und/oder der ehrwürdigen US-Monatszeitschrift für Geographie (Abonnement hatte ich lange Jahre, kann ich empfehlen), deren Eigentum das Foto bleibt. Wird auf einfache Anforderung hin entfernt.