Dienstag, 30. Juni 2009

Die Entgreisung des Antiquariats




1.
Jene Schmierenkomödie um die Verhehlung und Verschacherung guter Texte, Stichwort "Imprimatur-Jahrbuch", wird nun wieder einmal in Kohlscher Manier ausgesessen. Einfach nicht reagieren auf das Gepöbele eines Provinzantiquars!

Wenn es nach mir geht, bleibt der Skandal den Mitwirkenden noch einige Zeit in Erinnerung. Wer exzellente, wichtige Inhalte durch formale Fehler gefährdet, verbirgt, in ihrer Wirkungsmöglichkeit beeinträchtigt, der versündigt sich an der Sache, am Inhalt, am Anliegen ebenso wie ein Setzer, der gute Texte durch sinnentstellende Fehler ruiniert. Da sehe ich gar keinen Unterschied.

Das Thema taucht nun schon zum zweiten Mal in diesem Blog auf. Wir mußten vor einigen Tagen mit Betrübnis feststellen, wie ein halbes Hundert Kollegen sich mit überwiegend sehr guten Katalogaufnahmen für ein Sammelwerk abgemüht hatten, das dann in Strategie, Verteilungsweise, Druckverfahren, Werbetechnik und Imagepflege derart verhunzt, zerstört, verdummt und vertan worden ist, daß - immer nach meiner persönlichen Einschätzung - ein Denkmal der Blödheit und ein Stein des Anstoßes dort übrigblieb, wo ein Fanal, ein Anstoß, ein Werbeargument erster Güte für unser Gewerbe hätte entstehen können.

Wir lernen daraus, daß Fehler in der F o r m ebenso zerstörend wirken können wie solche im Inhalt. Ich gehe noch einen Schritt weiter und fordere in dieser Zeit des Umbruchs, des Wechsels zwischen Buch- und elektronischer Form, zwischen Laden und Internetvertrieb, zwischen open source-Gratisvertrieb und lasterhaften Apothekenpreisen der Geisteserzeugnisse, daß der F o r m nötigenfalls mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem Inhalt. Der beste Inhalt geht zugrunde, er wird vergeudet, wird verborgen, wenn in der Form seiner Präsentation grobe Fehler gemacht werden.

Unsere Professorin tut so, als wüßte sie das nicht. Sie weiß es aber als Fachgelehrte ganz genau, und da liegt für mich der eigentliche Stein des Anstoßes.


2.
Ich greife heute einen Aspekt heraus, der bei der Imprimatur-Affaire nur scheinbar nebensächlich ist, in Wahrheit aber den Kern berührt: Die Überalterung, die Vergreisung unseres Gewerbes, genauer gesagt seines Images - unersetzbares Fremdwort, dessen Gebrauch ich mir nachzusehen bitte.

Im Antiquariat ist mehr als in anderen Gewerben und Sammelbereichen die Sekundärliteratur, die bibliographische Verzeichnung, die historische Kompilierung wichtig. Das hängt mit mancherlei interessanten Faktoren zusammen, nicht zuletzt auch mit dem Fehlen einer Gesamtbibliographie des deutschsprachigen Schrittums, der letzte Versuch ging im Bombenhagel des 2. Weltkriegs zugrunde. Aber auch symbolhafte Gründe spielen da mit: Wer Bücher sammelt, für den deckt sich in der Herausgabe von "Büchern über Bücher" auf glücklichste Weise Inhalt und Form. Und dann ist das Thema Verlag und Druck, Dichter und Buchbinder, Zensor und Kupferstecher, ist also das ganze Universum rund um das Buch einfach faszinierend.

Wo nun diese Form, nämlich das "Buch über das Buch", derart wichtig und zentral auftritt, dort vermuten wir, daß ein guter Imageträger, ein Hilfsmittel zur Imagepflege, ein Instrument zur Darstellung des Fachs, zur Werbung für unser Gewerbe gegeben ist. Veröffentlichungen wie "Imprimatur" nehmen eine ganz zentrale Stellung ein im Universum der Bücherliebhaberei. (Sie sehen, ich vermeide das Wort "Bibliophilie", es ist überflüssig wie Krampfadern, was haben wir nicht für ein aussagekräftiges deutsches Wort dafür!).

Wenn das so ist, dann ist die Art, in der "Imprimatur" angeboten, vertrieben, beworben wird, für das Antiquariat von Bedeutung. Wir sind aufgerufen, näher hinzusehen. Ich schreibe meine Texte fast immer mit pädagogischen Hintergedanken - an und für sich sind mir, ich äußere weiterhin meine persönliche Einschätzung, sozial gedankenlose Professorinnen ebenso schnuppe wie Verleger, die sich durch ihre Preispolitik zu Totengräbern des gedruckten Buchs machen. Die sollen ruhig ihr Süppchen kochen, hab ich nicht Besseres zu tun? Aber es geht um Grundsätzliches.


3.
In meiner etwas anstrengenden Art, vom Steinchen zum Stöckchen zu kommen, lade ich Sie zuvor ein zu einem Blick auf den Neubuchhandel: ein Gewerbe steht dort vor dem unmittelbaren Untergang, abgesehen von einer Meute unsympathisch agierender Rechtsanwälte und der ratlosen Korona weltfremder Obergerichte stehen die Büchermacher alleingelassen im Regen, jeder Kenner des Netzes wird den kommenden Tod des Buchs diagnostizieren, und noch lang vorher den der Neubuchhandlungen.

Was aber tut der Neubuchhandel? Er verharrt hilflos wie das Kaninchen vor der Schlange. Ich habe noch nie solch törichte, dümmliche, unbeholfene Tapsereien gelesen wie in den Stellungnahmen, Bündnissen und Projekten, die dem Neubuchhandel helfen sollen. Hier wird die Lektüre der Börsenblatt-Ausgaben zur Qual und es bleibt nur tiefes Mitleid zurück für diesen Berufsstand, dem offensichtlich Mut, Klugheit, auch die nötige Frechheit, vor allem aber Phantasie, sozialer Durchblick, Kunden- und Menschenkenntnis fehlt. Sind alle Buchhändler dümmliche Kleingeister? Man könnte es glauben, zumal das Börsenblatt hier, anders als in seinem Sonderbereich Antiquariat, völlig versagt und ein gerüttelt Maß Mitschuld am Untergang des Neubuchhandels auf sich geladen haben wird. Indessen ist das ein anderes Kapitel, und wir tun gut daran, zu unserem Gewerbe zurückzukehren.

Das Antiquariat hat ganz andere Hausaufgaben zu machen. Es ist in einer weitaus glücklicheren Situation als der Neubuchhandel, ja es kann, richtig angeleitet, sogar der eigentliche Nutznießer der gleichen Misere sein, die den Neubuchhandel niederführt und zugrunderichtet.

Dazu bedarf es eines neuen Images.

Dieser Satz ist wichtig und eigentlich selbstverständlich. Nun haben wir aber leider zwar einige verirrte Volks- und Betriebswirtschaftler, die uns aber derart täppisch und weltfremd in die Irre geführt haben, daß es Gott erbarm - ich vergesse nie gewisse Xing-Texte, deren hochtrabender Gestus in genauem Gegensatz zum peinlichen Inhalt stand. Wir sollten ganz einfach anfangen und uns um jenes Image kümmern, ohne das weder ein rollender Kaffeestand noch ein Pudelscher- und Waschsalon seine Arbeit beginnen würde.

Dieses Image muß natürlich von uns allen erarbeitet werden. Abrenzung, Verheimlichung, Grüppchenwirtschaft führen da nicht weiter. Ich darf hoffen, daß die werten Kollegen Mebes (Yahoo-Gruppe, lang ists her) und Weinbrenner (Xing-Gruppe) inzwischen das Törichte ihres abstrusen Verfolgungswahns eingesehen haben: Eine Berufsgruppe muß offen agieren, Geheimniskrämerei schadet nur, Ausgrenzerei noch mehr.

Ich kann aber immer nur einen Aspekt vorschlagen, zur Diskussion bringen. Alles weitere muß die Berufsgruppe selber aus sich heraus entwickeln.

Mein Thema ist heute die Vergreisung des Antiquariats. Sie muß durchbrochen werden mit allen Mitteln, sie ist als schädlich zu brandmarken. Greisenhaftes Gebaren, greisenhafte Verhaltensweisen müssen überall totgeschlagen werden wie Motten, wo man sie trifft - klatsch.

Das Greisenhafte durchzieht unser Gewerbe, unsere Sammelleidenschaft wie ekliger gelber Schimmel das an sich gute, aber feucht aufbewahrte Brot. In jedem Ladenraum des Antiquariats stinkt es nach Greis, die alten Männer liegen oben auf den Regalen, alte Männer greifen mit verdorrten Fingern aus Kellerlöchern in den Ladenraum, der Antiquar sitzt beim Katalogemachen auf gekrümmten Greisenrücken, sabbernde Greise mümmeln mit ihm am Frühstücksbrot und nuckeln an seiner Kaffeetasse.

Dieses Greisenhafte ist an vielen, an allzuvielen Elementen unseres Gewerbes festzumachen. Der Greis ist der Fluch des Antiquariatsgewerbes.

Greisenhaft ist der lächerliche Tick, wir sollten unsere Bücher nach den traditionellen bibliographischen Regeln "erfassen" - anstatt die sture Formalbibliographie endlich durch Inhaltserfassung zu ersetzen. Ich hab dazu schon viel geschrieben. Wir müssen unsere Läden radikal umdenken und für die jüngeren Menschen betrebar, bewohnbar machen, noch radikaler sind unsere Kataloge zu ändern. Der jüngste Antiquariats-Sammelkatalog war formal gesehen das scheußlichste Vergreisungsinstrument, das je erschienen ist - hoffentlich das letzte dieser Art. Vergreist sind unsere Werbemittel, vergreist ist unsere Art der berufsständischen Zusammenarbeit. Zänkische, zahnlose Greise separieren sich in eifersüchtig überwachte Sondergrüppchen, halten sich bei Quisquilien auf, verlieren die große Linie, den Horizont völlig in den kleinlichen Greisengehirnen.

Es riecht überall im Antiquariat nach Inkontinenz, Altmännersocken und mangelndem Deodorant. Das alles bitte ich in übertragenem Sinn zu verstehen. Bis in kleinste Verästelungen ist unser Gewerbe systematisch angegreist, vergreist und verknöchert. Wir haben uns abstoßend gemacht!

Nun bin ich ja, das muß in Klammern gesagt werden, einer der dienstältesten Kollegen. Wird kontinuierliche Nebenbeschäftigung im Antiquariat, etwa die Schulzeit- und Studienfinanzierung, mit anerkannt, habe ich 50 Berufsjahre auf dem Buckel. Ich taste mich heute mit Rauschebart und Nickelbrille durch die Straßen und bin als Fotomodell für das Motiv "sabbernder Greis" gut brauchbar.

Gerade deshalb kann ich mich zu diesem Thema frei äußern, ohne die schönen Regeln jener Pietät dem Alter gegenüber zu verletzen, von denen ich ohnehin nie viel gehalten habe.

4.
Nun erkennen Sie auch, was mich am "Imprimatur-Skandal" so aufregt: Es ist das Musterbeispiel einer vergreisten, schädlichen, unser Image zerfressenden, gedankenlos-dümmlichen Vorgehensweise.

Wer bitte sagt uns denn, daß es nicht jüngere Leser- und Käuferschichten für Sammelbände dieser Art gibt? Zweihundert Mark auszugeben für einen ordentlich gedruckten, gut illustrierten Band von etwas über 300 Seiten, das ist Greisenart. Der büchersammelnde Greis hat genug Sammler-Masochismus, um ohne weiteres zwei alte Blaue dafür hinzulegen, Jahr für Jahr. Das erspart den Gang ins Sadomaso-Studio, wo alles noch teurer wäre. Die Bibliotheken erpreßt man ein wenig, sie "müssen" das Buch ja haben. Ansonsten verharrt man in hilfloser Resignation, indem man sich selber versichert, es gebe ja sonst doch keine Käufer solch anspruchsvoller Texte.

Diese intrigante, unsaubere, mutlose Greisenart wirkt auf jüngere Menschen so abstoßend, daß man schreiben könnte: Leutz, merkt Ihr das denn nicht? So darf es nicht gemacht werden!

Richtig beworben, für 29,50 Euro gut gedruckt und gebunden, notfalls in Südtirol oder in Zagreb (die wollen auch leben), die Autoren sogar, man staune, bescheiden entlohnt - - so geht das, so macht man das.

Freilich, es wäre das nur ein kleiner Beitrag zur Entgreisung des Antiquariats. Aber ein nicht unwichtiger.

Der fällige Imagewandel des Antiquariats muß tatkräftig, mit jugendlichem Elan in Angriff genommen werden. Kehrt die Greise vor die Tür, kippt sie aus dem Fenster! Wenn sie Herzensbildung haben, werden sie uns sogar verstehen.





Das Bild ist Eigentum der Webseite
www.schlohmann.de/artcenter.html. Wir danken für die Verwendungsmöglichkeit. Wird auf einfache Aufforderung hin sogleich entfernt.