Die werte Genossenschaft hat schon oft vergessen, wie unterschiedlich unser Gewerbe gegliedert ist - und sie überspielt diesen Punkt ein weiteres Mal, wenn sie nun das Thema "Handbibliothek im Antiquariat" locker vom Hocker durch Vorträge sachkundiger Kollegen in Lübeck erhellen möchte.
Was soll das? Einige würdige Herren des besseren Antiquariats lassen die goldene Uhrkette auf der Weste blitzen oder, um den Gegentyp nicht zu vergessen, hauchen vergeistigt ihre letzten Erkenntnisse in die ergriffene Zuhörerschaft - das V o l k aber sitzt leise da in der Kirche, gähnt hinter vorgehaltener Hand, denkt ans Mittagessen und ist in aller Regel ganz unbeteiligt.
Das ist auch gar nicht anders möglich und hätten die edlen Spitzenkräfte unseres Gewerbes besser überlegt, würden sie Thema und Veranstaltung anders geplant haben. So aber sehe ich einen Markt der Eitelkeiten voraus, eine Tagung, bei der sich wenige Auserwählte vor einer noch nicht und vermutlich auch in Zukunft nie berufenen Schar von Minderbrüdern spreizen.
Ich gönne es den Berufenen ja und würde mich in ähnlicher Lage nicht anders verhalten. Es macht eine natürliche und unschuldige Freude, die Unwissenden zu belehren. Das kann ihnen nur nützen. Nur darf ich nicht vergessen, daß es vorgegebene Strukturen und Zwänge gibt, in denen das Fußvolk gefangen ist. Ich muß mit meiner Hilfe dort ansetzen, wo die Armen der Schuh drückt.
Im deutschsprachigen Antiquariat gibt es, locker vom Hocker geschätzt, dreißig bis vierzig Kollegen, die ihre Handbibliothek, die Auskunftsregale der nahen Unibücherei und die Auskunftsquellen des Netzes über "Titel und Preis" hinaus wirklich brauchen und praktisch nutzen.
Die anderen, es dürften beim rapiden Verfall des Gewerbes noch etwa 450 sein, können mit den Begriffen der Bucherschließung, der Sachgebietsbearbeitung, der bibliographischen Recherche nichts, aber auch gar nichts anfangen - es sei denn, ein seltener Titel ist ihnen zugeflogen und nun wollen sie, über jene berüchtigte Versteigerungspreis-Verhehlungs-Schröpfmaschine, die der Verband zu verantworten hat, hinaus Näheres über diesen ihren Rara Avis wissen.
Wir müssen das noch deutlicher sagen: Sie d ü r f e n und s o l l e n mit Handbibliothek und Bucherschließung nichts am Hut haben.
Wenn ich es ihnen trotzdem nahebringen will und aufgeregt gackernd edle Veranstaltungen in Szene setze, dann mache ich mich als Kollege der Heuchelei schuldig.
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Um eine Handbibliothek und andere Auskunftsquellen zur Bucherschließung wirklich nutzen zu können, muß ich entsprechende Buchbestände haben, auf die ich solche Instrumente anwende. Der durchschnittliche Antiquar bekommt ab und zu ein seltenes Buch unter die Hand, das kann er aber schnell mit den einfacheren Netzmitteln beschreiben. VD16, VD17, die mit ihren Paginierungen immer noch unersetzbaren Radtkes, meinethalben noch die Schröpfagentur - und das wars.
Mehr s o l l und darf nicht geleistet werden, wenn ich nicht zusammenhängende größere Bestände am Lager oder im Einkauf habe. Man sehe sich doch nur einmal die Versteigerungshäuser, jene Großmeister der geistlosen Buchvereinzelung, von innen an. Wie arbeiten sie dort? In riesigen Sälen mit exquisiten Handbibliotheken wird so schludrig und flüchtig gearbeitet, daß es Gott erbarm - erst ab etwa fünfthuntert Euronen nimmt sich der Bearbeiter mehr als zehn Minuten Zeit zur Beschreibung des Titels.
Wenn ich nicht ein ehrwürdiges, sehr gutes Lager geerbt oder sonstwie übernommen habe, erhält die Bucherschließung erst Sinn beim Aufbau eines eigenen S a c h g e b i e t s.
In Ansätzen kennt das jeder Kollege von dem, was sich fast immer durch regionale Ankäufe ergibt: von der Heimatsammlung. Weil aber das übliche Mümmeln und Miefen der Greise der Spezies "Heimatforscher" nicht jedermanns Sache ist, haben die meisten Antiquare wenig Lust, diesen Sachbereich zu erschließen. Ich kann sie verstehen, auch wenn ich aus eigener Erfahrung sagen darf, daß es ab einer bestimmten Bestandsgröße dann eben doch Spaß machen kann (und kein einfaches Unterfangen ist).
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Ich darf gar nicht daran denken, die kleineren Kollegen belehren zu wollen in Sachen Bucherschließung und Handbibliothek, ehe ich ihnen nicht zu den S t r u k t u r e n verholfen habe, die ihnen den Aufbau von Sachgebietsbeständen ermöglichen. Fast alle Fragen unseres Gewerbes auf allen Ebenen hängen mit dieser Kernfrage zusammen: Wie kommen wir von der scheußlichen Vereinzelung der Titelaufnahme und Titelverzeichnung in unseren Datenbanken und Portalen wieder weg?
Ich kann es einfach nicht mehr hören, wenn unser aller Dr.Biester wieder empfiehlt, doch einfach hübsche Gemeinschaftskataloge zu gestalten oder vom Niederrhein her die satte und selbstzufriedene Lehre erschallt, man sitze auf vollen Lägern bester Ware, verkaufe emsig und sei vergnügt, was das ewige Gejammere denn solle?
Die Strukturen müssen verändert werden, ehe über Bucherschließung und Handbibliothek, über Zugänge zu einem Fachwissen des Antiquars diskutiert werden sollte. Wie kann der kleine Antiquar oder der mittlere Berufseinsteiger sich F a c h g e b i e t e aufbauen? Wenn ihm das gelingt, dann wird seine Arbeit erst sinnvoll.
Neben bestimmten anderen Ankaufstechniken ist es heute Ebay und, mit deutlichen Abstrichen, auch das Gewusele der kleineren Verkaufsportale, über die zu lohnenden Margen gute bis sehr gute Titel zusammengekauft werden können. Ein halbes Jahr tägliche Internet-Arbeit im Ankauf, ein Portefeuille von zehntausend Euronen - und ein tadelloser Fachbestand zu jedem Thema, das denkbar ist, steht im Regal. D a n n erst kann der Kollege über Fachbibliothek und Bucherschließung nachdenken.
Noch wichtiger als solche neuen Wege ist aber der ehrwürdige Pfad des A u s t a u s c h e s von Beständen unter den Kollegen. Einzelankäufe bei Antiquaren lohnen sich heute nicht mehr, wenn man Sachgruppen aufbauen will, das geht über das Netz einfacher. Wohl aber muß ein System zum Blockaustausch unter möglichst allen Antiquaren gefunden und eingerichtet werden.
Jeder sein eigener Fachantiquar! Damit lösen wir auch den durch die Amazonkrake (Abebooks-ZVAB-Amazon) geschaffenen Portal-Alptraum. Und dann, aber erst dann, machen Bucherschließung und Handbibliothek wieder Spaß.