Neues aus Lübeck
Die Bilder zeigen an einem beliebigen Buchbeispiel jene 4 Grund-Scans, von denen im Text die Rede ist.
Halten zu Gnaden - dies ist eine Plauderei, keine Abhandlung.
Die bibliographischen Kenntnisse unserer Kunden sind äußerst gering. Von wenigen Ausnahmen abgesehen können sie gar nicht unterschätzt werden.
Dies gilt für alle Bereiche der Bücherkunde. Die Vorstellungskraft des Kunden, sich anhand der formalen Titelaufnahme klassischer Art ein B i l d vom angebotenen Buch, seiner Brauchbarkeit, seinem Wert, von seiner Bedeutung zu machen, ist heute weitgehend verlorengegangen.
Die formale Titelaufnahme, wie sie bisher verwendet wird im Antiquariat, ist lesetechnisch eine monströse Unmöglichkeit.
Sie verzichtet auf die Verwendung von S y m b o l e n und B i l d e r n in einem tieferen Sinn und macht dadurch das Querlesen unserer Titellisten zur Qual.
Nun einige Beispiele, wobei der erste Punkt nicht der Wichtigste ist:
Der Begriff der "Seitenzahl", eines der heiligen und (bei der selbständigen Titelaufnahme) lästigen Elemente, ist, von Einzelfällen abgesehen, so exakt nicht notwendig. Vielmehr reicht es fast immer aus, den U m f a n g des Buchs durch Symbole anzudeuten. In Abstufungen von je 50 Seiten könnten Kästchen gesetzt werden, viereckige schmale Symbole, die es ermöglichen, auf einen Blick den ungefähren Seitenumfang des Buchs zu erfassen.
Ähnliche Symbole verwenden wir für Abbildungen, die Einbandart und den Z u s t a n d des Buchs. Auch zum letzten Punkt keine Schulnoten als Ziffern, nein - sofort, i n t u i t i v erkennbare Symbole.
Das sind nur kleine Schritte hin zu einer längst überfälligen Generalreform der Titelaufnahme.
Gehen wir nun ans Eingemachte!
Mir persönlich erscheint es wichtig, möglichst jeden Verfasser direkt zu v e r l i n k e n zu einem Wiki- oder anderen Aufsatz im Netz, der seine Biographie und andere Angaben/ Wertungen liefert. Das bedeutet, in ungewohnter Weise mit Verlinkungen bei der Titelaufnahme zu arbeiten. Die alten Bibliotheksleute haben das im Ansatz schon so gehalten, noch heute ruht etwa die Französische Staatsbibliothek nicht, bis sie die Lebensdaten jedes Autors erfaßt hat und in ihrem Datensatz vermerkt (eine formalistische Praxis, aber immerhin).
Die Titelaufnahme sollte, so meine ich, in möglichst vielen Elementen mit Sachinformationen im Netz v e r l i n k t werden. nicht etwa nur mit den dazugehörigen Wiki-Texten, oft sind ja private Webseiten weitaus ergiebiger und interessanter.
Ist das nicht Mehrarbeit für den Antiquar? Ich habe vor einigen Monaten mit älteren Titeln die Probe aufs Exempel gemacht. In der Mehrzahl der Fälle konnte ich so die B e d e u t u n g des Buchs viel besser einschätzen. Der Kunde wird oft durch eine kluge Verlinkung der Personen- und Sachthemen ins Netz hinein ebenso bereichert wie der Antiquar.
Natürlich wird man Doppel- und Mehrfacharbeiten vermeiden. Es ist kein "Klauen", wenn ich Vorarbeiten meiner Kollegen übernehme - die dürfen auch meine eigenen Titelaufnahmen abkupfern. Wollen wir das gierige, kleinliche Hyänentum unserer Verleger in die tägliche Antiquariatsarbeit hineinwuchern lassen? Da sei Gott vor.
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Wichtiger als das bis zu dieser Stelle Gesagte und überdies ganz schnell zu verwirklichen ist mein zweiter Reformvorschlag zu einer neuen Titelaufnahme:
Wir nutzen bisher kaum die Möglichkeit, durch B i l d e r den Inhalt zu erschließen, die Bedeutung des Buchs zu erkennen.
Nun folgt ein Kraftausdruck: Jener Unglücksrabe, der vor etlichen Jahren auf die Idee kam, das (o grausiges Schandwort:) C o v e r eines Buchs, genauer gesagt den Vorderdeckel zu scannen/ abzulichten und dieses Coverbild zum Regelfall zu erklären, der war - ein Idiot. Ich kann das nicht anders sagen.
Denn auf den Deckel / das Deckelbild / den Einband kommt es meist recht wenig an, wenn es darum geht, zu einer neuen Erschließung unserer Bücher im Netz zu finden.
In Zukunft müssen wir scannen
- das Inhaltsverzeichnis (bei umfangreichen eine ausgewählte Doppelseite des Inhaltsverzeichnisses, gibt es keines, entfällt dieser Schritt),
- zwei geschickt ausgewählte Probe-Doppelseiten aus dem Inhalt, wobei der Stolperstein umgangen werden sollte, nur besonders "schöne" oder eindrucksvolle Doppelseiten zu bringen. Der eine Doppelseitenscan wird t y p i s c h sein im Sinne einer Durchschnittlichkeit, den anderen wird man etwas eindrucksvoller mit Bild, Karte oder Tabelle wählen.
- ein Flachauflagebild des Einbands bzw. des Vorderdeckels (also wie bisher)
Die Bilderstrecke umfaßt mithin 4 Einheiten, die als anklickbare Bildchen neben der Titelaufnahme stehen.
Alle diese Angaben gelten für das klassische Antiquariat. Bei Titeln ab etwa 1970 gelten andere Regeln, sie wird man mit Recht automatisch bearbeiten.
Es gibt mehrere Voraussetzungen für die Bildertechnik. Erstens kommen Pixelkameras nicht in Frage, nur Scans. Zweitens muß die Scanmaschine sehr schnell sein, sonst dauert die Anfertigung der Scans zu lange. Drittens muß der Scan auf "200" eingestellt werden, sonst kann die Schrift später nicht gelesen werden. Hier im Google-Blog kann ich die notwendige Auflkösung zum Lesen nicht darstellen, aber technisch ist das sonst gar kein Problem. - Das Webhosting der Bilder muß sehr schnell, sehr billig (fast gratis) und absolut zuverlässig möglich sein. Das geht zur Zeit wohl nur mit Googles Picasa-Webseiten.
Hinter diesen schnell notierten Einzelpunkten versteckt sich ein Rattenschwanz von Folgerungen. Der wichtigste Grundsatz ist: Gedruckte Kataloge/ Listen gibt es ab sofort nicht mehr! Der Komfort durch die neue Listen- und Katalogerstellung ist so immens, so verführerisch, daß auch der konservativste Pirckheimer-Uropa mit fliegenden Fahnen zur Netzliste überlaufen wird und grummelnd zugeben muß: Es ist schon was dran an der neuen Erschließungstechnik unserer alten Bücher.
Bis bald Ihr
Peter Mulzer
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