Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 26. März 2010
Zur Situation im Antiquariat
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In diesem Blog, dessen letzten Beitrag Sie heute lesen, haben wir manchen Kampf ausgefochten. Im Rückblick bin ich über Form und Inhalt nicht sehr glücklich.
Manche Aktionen waren nützlich, hatten auch Spaß gemacht, etwa wenn es über das unsägliche Geschmiere und die gesammelten Ungeschicklichkeiten mancher Bücherdatenbanken ging oder wenn ich zu klagen hatte über nach meiner Einschätzung ebenso eingebildete wie uninspirierte Akteure ("ich mach was mit Büchern"), über sträflich verpaßte Chancen, etwa das flott aus der Taufe gehobene, aber inzwischen nahezu verhungerte Kindlein des RFMeyerschen "Angebots-Bündnisses", über das seit Jahren, wiederum nach meiner Einschätzung, unter einem fast schon magisch anmutenden Unstern stehende Prolibri-Datenbankprojekt, über krasse Unmöglichkeiten in der Branche wie etwa das Verhehlen und Verhökern der Auktionsergebnisse mit dem Segen eines hier nicht zu nennenden Berufsverbandes.
Es gab auch Grenzfälle zuhauf, wo es mir besser angestanden hätte, kürzer zu treten. Dies gilt besonders für jenen seltsamen uralten Judaica-Beitrag Björn Biesters, den dieser selbst ausgegraben hatte und den beide Teile vernünftigerweise hätten mit Schweigen übergangen haben sollen. Andere Themen sind nach wie vor aktuell und ticken als brandgefährliche Zeitbomben unter den Trümmern, das gilt etwa für das Amazon-Abebooks-Zukunftsszenario, auf Deutschland bezogen; auch für Spezialthemen wie die Gesetzgebung zur Jugendpornographie, mit deren konsequenter Anwendung immer noch jedes zweite Antiquariat zur tagelangen Durchsuchung offenstände, oder, man verzeihe mir die Schlichtheit der Überlegung, für die mit Sicherheit kommende Abschaffung des Büchersendungsportos.
Bevor ich die in der Überschrift versprochene Geburtsanzeige einreiche, nutze ich die Gelegenheit zu einer Übersicht über die aktuelle Lage des Antiquariats aus meiner Sicht.
Ich glaube es war Kollege Hohmann in Stuttgart, übrigens ein grundgescheiter Antiquar, welcher seine Texte nur leider eher verbirgt als veröffentlicht, der anschaulich von Antiquaren berichtet, die ihre Krankenversicherung nicht mehr bezahlen können. Wir haben in allen Foren Kollegin Rathjen vom Dienst, die jedem, der lesen kann, schonungslose Einblicke in eine Sonderwelt des Antiquariats vermittelt. Es gibt Vertreter unseres Gewerbes, die mit Rezepten aus der Mottenkiste der Betriebswirtschaft anrücken, siehe den Kollegen Weinbrenner, um den es recht still geworden ist. Betriebswirtschaftliche Überlegungen sind sinnvoll im Bereich des "Gebrauchtbuchs", das meist neueren und neuesten Datums ist und das ähnlich wie Damenstrümpfe oder Medikamente beschrieben und ausgeliefert werdenkann. Sie haben sich ansonsten im Antiquariat nicht bewährt.
Noch mehr enttäuschen uns die Theoretiker, aus deren Reihen sich unlängst Kollege Helmer Pardun geäußert hat, er kommt wie ich aus der Hauptfach-Soziologie und so kann ich einigermaßen sachkundig nur mit dem Kopf schütteln und ihn bitten, das Theoretisieren im Stil seines "Partizipativen Antiquariats" lieber zu unterlassen. Das sind Holzwege, nicht nur weil keiner, der nicht Soziologe ist, ihn überhaupt verstehen kann.
Das wirkliche Hindernis für einen Fortschritt im Bereich unseres Gewerbes liegt heute offener zutage als noch vor einigen Jahren: "Les extrèmes se touchent" , die inneren Gegensätze sind dramatisch groß.
Dem kleinen Kistenschieber, der rührend bemühten Hausfrau (nicht nur) aus dem wilden Osten unserer Republik, leicht zu ermitteln im ZVAB anhand der unsäglichen Stichworte "Hardcover, berieben, Autorenkollektiv", steht der saturierte, wohlgeordnete, arrondierte Kollege des oberen Mittelfelds gegenüber. In aller Regel gescheite, sachkundige Leute mit ordentlicher Steuererklärung, mit Frau und Kind und mehreren Verbandsmitgliedschaften, gut gefülltem Lager und hart erarbeiteter Kundenkartei. Darüber dann der Olymp jener 40-50 Spitzenantiquare, die unter sich bleiben und mit dem Volk der gewöhnlichen Antiquare nur nach Bedarf Kontakte unterhalten.
Was ich hier anekdotisch aufzähle, hat in Wahrheit katastrophale Folgen für die Gesamtsituation des Antiquariats - heute mehr denn je zuvor.
Fast alle Berufs- und Zukunftsfragen stellen sich für die drei Schichten im Antiquariat unterschiedlich dar:
- Kistenschieber, Gebrauchtbuchlieferanten, überwiegend zur Versorgung solcher Kunden, die das Buch vom Sachthema her oder als Ersatz für (zu) teure Neutitel kaufen,
- Rundum-Antiquare, ob mit Laden und/oder Versand, die das ganze Spektrum bearbeiten, thematisch, vom Buchwert her, was die Vertriebswege betrifft, die Kunden vom Edelsammler bis zum Billigbuchstudenten beliefern,
- Spitzenantiquare, die ganz überwiegend gehobene Fachgebiets- und Allgemeinsammler als Kunden haben.
Das ist offenkundig, jeder kann sich Beispiele ausdenken, und natürlich gibt es viele Zwischenformen und Kombinationen. Was aber doch zu beobachten bleibt, ist die erstaunliche Verschiedenheit der Interessen, wenn es um wichtige Diskussionen geht.
Wie wollen wir derart unterschiedlich interessierte Leute denn zusammenbringen zu gemeinsamem Handeln für "ihre Interessen", wenn die einen Messefragen in Dubai oder Zürich diskutieren, die anderen den Absatz von guterhaltenen Werken der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft über Amazon oder Booklooker, zu 5 Euro oder doch lieber zu 4,99 Euro?
Locker vom Hocker herab formuliert - die Redensart geht vom alten Bibliothekaren-Steh-Stühlchen aus und paßt hier - läßt sich sagen:
- die Spitzenantiquare können ihre exquisite Fach- und Allgemeinsammlerkundschaft nur sehr begrenzt erweitern. Für sie spielen Konjunkturfragen eine Rolle: Was ist gerade in Mode, wieviel freies Geld hat die Kundschaft, nimmt sie Wertanlagen vor, kommen Bibliotheken und Archive wieder zu Ankaufsetats für teure Titel, wie steht der Dollarkurs, und dergleichen Fragen mehr, die im unteren Feld gar nicht, im Mittelbereich eher wenig interessieren.
- das untere Antiquariat belegt mit seinen Sorgen ein uns klassischen Antiquaren sehr ungewohntes Feld, das des reinen Versandhandels. Lagerhaltung, Ankauf, Verkaufs- und Gewinnmargen müssen dort sehr nüchtern, sehr hart diskutiert werden.
- das mittlere Antiquariat, man ist versucht zu sagen, das "normale" Antiquariat, hat eine seltsame Spagatstellung inne. Es muß sich sowohl um den Sachbereich der Spitzenantiquare kümmern als auch die Niederungen des unteren Versandgeschäfts mit bearbeiten.
Wer immer bisher versucht hat, eine Aktion für "die Antiquare" auf die Beine zu stellen, ist mehr oder minder jämmerlich gescheitert. Das gilt bei näherem Hinsehen auch für die - an sich so löblichen - Schulungsversuche des Börsenvereins, von den lächerlichen "Kammerprüfungen" unseres Gewerbes ganz zu schweigen. Auch meine etwas schief geratene Kritik am neuen Konzept des Börsenblatts hatte als Hintergrund die Vorstellung, es müsse aus Frankfurt ein Diskussions-, Nachrichten- und Bildungsforum geben für "die Antiquare".
Ich sehe auch bei dem nun allerdings wirklich ärgerlichen und peinlichen Schicksal des RFMeyerschen "Webseitenverbunds" als Ursache die Eingrenzung auf viel zu eng gefaßte Typen bestimmter Versandantiquariate. Daß die Genossenschaft auf keinen grünen Zweig kam, liegt ähnlich begründet - die Eintrittshürde war viel zu hoch gelegt worden, nicht nur finanziell. Und in der Abschottung des Verbands gegenüber den kleinen und mittleren Kollegen liegt ein gutes Maß, wie ich glaube, gewollter Geheimniskrämerei und Distanzierung. Anders ist etwa der ILAB-Skandal nicht erklärbar.
An dieser Stelle der Überlegungen darf ich nun zur versprochenen Geburtsanzeige kommen.
Formal betrachtet ist es notwendig, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der für alle Schichten unseres Gewerbes sinnvoll, wichtig und nützlich sein kann.
Wir wissen, daß im unteren und mittleren Feld eine dramatische Absatzschwäche seit einer Reihe von Jahren zu beklagen ist. Wir sitzen auf Millionen von Titeln, die anscheinend dauernd unverkäuflich sind. Ich spreche nicht von "Boehn, der Tanz" oder "Ludwig, Goethe" und anderen Schrecknissen, sondern von einem nach Millionen zählenden Berg an sich ordentlicher, nicht allzu häufiger, im mittleren Rahmen ausgepreister und halbwegs vernünftig beschriebener Bücher.
Heute können wir davon ausgehen, daß der Standardverdacht aller Antiquare, die unzulängliche Gestaltung und Verbreitung der Bücher-Verkaufsdatenbanken sei Schuld an unseren nicht abgetragenen Bücherbergen, keine große Rolle mehr spielt. Der Kunde, der übers Netz einen Titel finden will, hat sehr einfache und schnell zugängliche Informations- und Kaufmittel. Dies und das wäre nachzubessern, aber zentral ist die Datenbankfrage nicht mehr. Vor drei, vier Jahren sah das noch anders aus.
Wir brauchen auch nicht unbedingt bessere Titelaufnahmen, auch Fotos/ Scans sind vom Zeitaufwand her kaum kalkulierbar und für Durchschnittsware nur von begrenzter Nützlichkeit. Alles das sind hübsche Sächelchen zur Beruhigung und Beschäftigung der Antiquare - - aber keine Lösungen.
Kernthese:
Wir müssen das Sammeln alter Bücher generell, auf breiter Ebene, mit großem Propagandaaufwand wieder populär machen, besonders auch bei jüngeren Leuten. Altbuchsammeln muß einerseits als Modebewegung "in" werden, zum anderen aber brauchen wir eine gründlicher und tiefer angelegte Motivierung der Leute zur Erweckung einer "Liebe" zum alten Buch.
Beides möchte ich nicht voneinander trennen wollen. Wir dürfen uns, um das oben gesagte zu wiederholen, nicht zu schade sein, auch "Trends" zu einem m o d i s c h e n Sammeln alter Bücher anzuregen, zugleich aber haben wir sehr ernsthafte Gründe und Motive zur L i e b e zum alten Buch zu erwecken.
Dabei können wir (fast) keine Anleihen machen bei der allgemeinen Betriebswirtschaft. Auch helfen uns soziologische Regelwerke nicht weiter, schon gar nicht führt uns die in Zeiten der Ratlosigkeit immer so gern bemühte Tante "Statistik" da auf den rechten Weg. Wir brauchen eine I m a g e w e r b u n g, die die positiven, wünschbaren Aspekte des Altbuch-Sammelns hervorhebt. Das werden in der Regel alte, ja sogar uralte Motive sein, die wir ins Moderne, in die Gegenwart übertragen müssen:
W a s bitte genießt denn der Sammler, der abends ans Regal geht und seine Reihe alter Bücher mustert? Das, mit Verlaub, Gesäusel mancher Blogger in dieser Hinsicht läßt sich hier für einmal gut verwerten - "erschauert" der Sammler wirklich bei bestimmten Titeln, wenn er die Inkunabel in der Hand hält, wenn sich das Inselbändchen, das langgesuchte, findet? Wir werden Anregungen vom Briefmarkensammeln her aufgreifen und etwa im "Namen der Rose" Ideen für modernste Altbuchliebe entdecken.
Es handelt sich also darum, das Altbuchsammeln
*in allen seinen Wert- und Sachgruppen, bezogen auf
*alle Bildungs-, Berufsgruppen,
zu erfassen und in Verbindung zu bringen etwa zur
*Wohnkultur, zur
*Sammelleidenschaft, zur
*Freizeitgestaltung.
Dieses B ü n d e l neuer Altbuch-Sammel-Images sollten wir nun gemeinsam entwerfen und diskutieren.
Soweit die Geburtsanzeige - der Absatz im Antiquariat soll angekurbelt werden durch ein neues I m a g e des Altbuchsammelns. Das kann auch ein Image-Bündel sein, muß aber immer (auch) eine bestimmte Botschaft transportieren.
Für das Bild danken wir wieder einmal der VS Krems-Lerchenberg, der die Urheberrechte gehören
Donnerstag, 18. März 2010
Das neue börsenblatt.net - enttäuschend (Teil 2)
A.
Es sei mir gestattet, zur Verdeutlichung meiner zunächst ja formalen Kritik an börsenblatt.net (siehe den vorhergehenden Beitrag) hier noch zwei Webseiten vorzustellen, die - jede auf ihre unterschiedliche Art - ähnliche Aufgaben zu erfüllen haben wie börsenblatt.net. Von der Organisation her stellen sie weit auseinanderliegende Außenposten dar, einmal die moderne, tagesaktuelle New York Times, zum anderen die aktuelle Homepage des FBI.
Beide halte ich, jede auf ihre Weise, für nahezu perfekt. Dies gilt für alle Aspekte, von Farben, Schrift, Graphik bis hin zur Taktik und Technik des Aufrufens der Berichte.
Besonders wertvoll erscheint mir die NYT bezüglich ihrer geschickten, für den Leser erträglichen Nutzung als Werbeträger.
Ich habe die Abbildungen jeweils in drei Stufen angeordnet - zunächst die Leit- oder Hauptseite, dann untergeordnete Leitseiten und schließlich das Bild des Einzelberichts.
Dazu sage ich nun weiter nichts - ich lade Sie ein, sich die beiden zunächst so unterschiedlichen Seiten in Ruhe anzusehen und sich dann näher einzulassen auf Farbe, Graphik usw.
B.
Daß es zu einer solch vernichtenden Gesamtnote kam, mag zunächst verblüffen. Ich habe angedeutet, es seien vor allem inhaltliche, nicht etwa (nur) formale Mängel, die das neue börsenblatt.net abwerten.
Was für Aufgaben hat der Netzdienst des Börsenblatts wahrzunehmen?
Zunächst, man darf das nicht vergessen, ist er das Aushängeschild und Sprachrohr einer ehrwürdigen Institution, hinter der nicht nur - im Verlegersektor besonders deutlich - enorme Umsätze stehen, sondern in der auch ein hoher kultureller Anspruch vertreten wird. Die Form muß dieser Repräsentationspflicht Rechnung tragen, auch wenn es hier natürlich nicht um die eigentliche Homepage des Börsenvereins geht.
Diese Aufgabe wird vom neuen börsenblatt.net überhaupt und ganz und gar nicht eingelöst, die neue Seite wirkt "billig" und beliebig.
Dann hat der Börsenblatt-Netzdienst Aktuelles zu vermelden und darüber zu informieren. Die Meldepflicht wird eingelöst (auch wenn von der Sache her wirklich Aktuelles in einem tieferen Sinn eher selten auftritt) - mit der Einschränkung, daß die fehlende Übersichtlichkeit, die verwirrende und für den Nutzer mühselige Durchsicht des Materials nervt und behindert.
Ganz und gar nicht eingelöst wird aber die wichtigste Verpflichtung,
für die gesamte Branche ein wertvolles Referenz-, Nachschlage-, Denk- und Rezepthandbuch zu sein.
Vor allem fehlt die Einbindung eines lebendigen, moderierten Dialogs, in erster Linie über Fachfragen. Dieser Dialog muß technisch in engster Verbindung zu den aktuellen Berichten und zu den archivalisch-lexikalischen Fachinformationsmitteln stehen, die börsenblatt.net anbieten sollte - eigentlich...
Es ist auch nicht für 5 Pfennige der Versuch gemacht worden, über die geschmäcklerisch-äußerliche "Modernisierung" des Webauftritts hinaus eine inhaltliche Reorganisation zu unternehmen.
Die gesamte neuzeitliche, berufsbezogene Informations- und Dokumentationspraxis ist verschlafen worden. Es wurde im Vorfeld nicht analysiert, nicht richtig gedacht, - noch immer ist ein geschickt vernetztes Informations-, Melde-, Diskussions- und Nachschlagemedium nicht in Sicht.
Das ist enttäuschend. Deshalb die Abwertung.
Es sei mir gestattet, zur Verdeutlichung meiner zunächst ja formalen Kritik an börsenblatt.net (siehe den vorhergehenden Beitrag) hier noch zwei Webseiten vorzustellen, die - jede auf ihre unterschiedliche Art - ähnliche Aufgaben zu erfüllen haben wie börsenblatt.net. Von der Organisation her stellen sie weit auseinanderliegende Außenposten dar, einmal die moderne, tagesaktuelle New York Times, zum anderen die aktuelle Homepage des FBI.
Beide halte ich, jede auf ihre Weise, für nahezu perfekt. Dies gilt für alle Aspekte, von Farben, Schrift, Graphik bis hin zur Taktik und Technik des Aufrufens der Berichte.
Besonders wertvoll erscheint mir die NYT bezüglich ihrer geschickten, für den Leser erträglichen Nutzung als Werbeträger.
Ich habe die Abbildungen jeweils in drei Stufen angeordnet - zunächst die Leit- oder Hauptseite, dann untergeordnete Leitseiten und schließlich das Bild des Einzelberichts.
Dazu sage ich nun weiter nichts - ich lade Sie ein, sich die beiden zunächst so unterschiedlichen Seiten in Ruhe anzusehen und sich dann näher einzulassen auf Farbe, Graphik usw.
B.
Daß es zu einer solch vernichtenden Gesamtnote kam, mag zunächst verblüffen. Ich habe angedeutet, es seien vor allem inhaltliche, nicht etwa (nur) formale Mängel, die das neue börsenblatt.net abwerten.
Was für Aufgaben hat der Netzdienst des Börsenblatts wahrzunehmen?
Zunächst, man darf das nicht vergessen, ist er das Aushängeschild und Sprachrohr einer ehrwürdigen Institution, hinter der nicht nur - im Verlegersektor besonders deutlich - enorme Umsätze stehen, sondern in der auch ein hoher kultureller Anspruch vertreten wird. Die Form muß dieser Repräsentationspflicht Rechnung tragen, auch wenn es hier natürlich nicht um die eigentliche Homepage des Börsenvereins geht.
Diese Aufgabe wird vom neuen börsenblatt.net überhaupt und ganz und gar nicht eingelöst, die neue Seite wirkt "billig" und beliebig.
Dann hat der Börsenblatt-Netzdienst Aktuelles zu vermelden und darüber zu informieren. Die Meldepflicht wird eingelöst (auch wenn von der Sache her wirklich Aktuelles in einem tieferen Sinn eher selten auftritt) - mit der Einschränkung, daß die fehlende Übersichtlichkeit, die verwirrende und für den Nutzer mühselige Durchsicht des Materials nervt und behindert.
Ganz und gar nicht eingelöst wird aber die wichtigste Verpflichtung,
für die gesamte Branche ein wertvolles Referenz-, Nachschlage-, Denk- und Rezepthandbuch zu sein.
Vor allem fehlt die Einbindung eines lebendigen, moderierten Dialogs, in erster Linie über Fachfragen. Dieser Dialog muß technisch in engster Verbindung zu den aktuellen Berichten und zu den archivalisch-lexikalischen Fachinformationsmitteln stehen, die börsenblatt.net anbieten sollte - eigentlich...
Es ist auch nicht für 5 Pfennige der Versuch gemacht worden, über die geschmäcklerisch-äußerliche "Modernisierung" des Webauftritts hinaus eine inhaltliche Reorganisation zu unternehmen.
Die gesamte neuzeitliche, berufsbezogene Informations- und Dokumentationspraxis ist verschlafen worden. Es wurde im Vorfeld nicht analysiert, nicht richtig gedacht, - noch immer ist ein geschickt vernetztes Informations-, Melde-, Diskussions- und Nachschlagemedium nicht in Sicht.
Das ist enttäuschend. Deshalb die Abwertung.
Die Neugestaltung von börsenverein.net
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Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder. Eine Webseite, die veröffentlicht wird, die sich dem Leser zumutet, darf und soll auch durch ihr Opfer, den Leser, beurteilt werden.
A.
Nota: Ausgegangen wurde hier von der Situation nach dem Aufruf der Registerkarte "Nachrichten"
...
1.
Bisher langweilte uns die Börsenblatt-Webseite als trockenes, womöglich allzu vertrautes, übersichtliches Informationsmittel. Die alte Tante börsenblatt.net wurde zwar im Lauf der Zeit aufgehübscht, es gab Wort-Wolken, die uns überraschende, freilich auch blödsinnige Informationen vermittelten über die Zusammenhänge zwischen Statistik und Sinn im Arbeitsbereich des Buchhandels, allerlei Seltsames wurde versucht, etwa die stolze Präsentation mehr gutgemeinter als ausgereifter Schülerarbeiten an prominenter Stelle als eine Art verunglückter Wiki, ein fast nie benutztes Dialogsystem hoffte, sich eines Tages zum Dialogforum zu entwickeln, in Farbe und Gestus überwiegend peinlich zurechtgemotzte Fotos gab es, zwang- und sieghaft lächelnde, optimistische und manipulierende Portraits - aber das ganze war doch übersichtlich, seriös, von Ausnahmen abgesehen gescheit formuliert und in einem tieferen Sinn anständig - kurzum: Eine vernünftige, keineswegs nur mittelmäßige, in ihrer Art durchaus liebenswerte Informationsseite.
Ich habe sie täglich besucht und mußte dies kaum einmal bedauern.
Dergestalt liebgewonnene Plätze möchte man nicht gern verändert wissen. Wenn eine altgewohnte Webseite dann aber doch von Grund auf umgebaut wird, dann schauen wir genau hin, probieren die neuen Stühle aus und prüfen den Kaffee aus der neuen Maschine mit Bedacht.
2.
Das neue börsenblatt.net ist, gemessen an den stillen Revisionswünschen des Lesers, eine Katastrophe.
Mit diesem Urteil könnte man es bewenden lassen. Es mag sich aber lohnen, einige Gründe aufzudröseln. Ans Werk.
Im Kopf werden wir mit 19 (neunzehn) fett und prominent gedruckten Registerkarten beglückt, dazu kommen, wir befinden uns immer noch im Seitenkopf, 9 graphisch etwas zurückgenommene zusätzliche Register-Taben. Noch ehe wir zum Lesen des ersten Artikels gelangen, quält sich unser Auge durch 28 anklickbare, auszuwählende Bereiche.
Über ein Drittel der gesamten Webseitenfläche beim ersten Aufruf der (stets ja doch als erste angeklickten) Registerkarte "Nachrichten" ist so durch Titel und Registertaben verschenkt, zugemüllt, vertan.
Man kann mit der Methode des "Anreißens" arbeiten, also mit kurzen Appetithäppchen den Inhalt der Meldungen erst einmal in Kurzform hersetzen und darauf vertrauen, daß der Leser diejenigen Beiträge, die ihn persönlich interessieren, zum weiteren Lesen anklicken und aufrufen wird. Wer gewillt ist, sich als Redakteur eine Minute Zeit zu nehmen, wird den Inhalt oder Gehalt des Artikels in Kurzform herüberbringen - wem auch das noch zuviel Aufwand erscheint, wendet gar jenes quälende Verfahren an, einfach den Anfang des Textes mechanisch zu bringen, garniert mit den ominösen drei Pünktchen und dem Hinweis "zum Weiterlesen bitte hier klicken". Hier wird eine mildere Form solcher Quälerei angewendet - stur ist nämlich jedem Beitrag eine Zusammenfassung vorangestellt, seltsam ungeschickt, wie im Deutschaufsatz mit der Vorgabe "Jeder Schüler soll am Anfang seines Aufsatzes in zwei Sätzen den Inhalt zusammenfassen. Erst dann darf mit dem Beitrag begonnen werden".
Das kann man so machen, wenns denn sein muß. Aber durch die übergroßen roten Überschriften wird solch übersichtliches, wenn auch langweiliges und stures Vorgehen konterkariert. Der Vorteil solcher "teaser" soll doch die Möglichkeit einer *schnellen* ersten Information, eines Überblicks sein! Wenn ich aber durch Anwendung völlig absurder Typographie und Graphik nur gerade einmal mit 2 (zwei) Artikeln auf der ersten Bildschirmseite beim Leser anklopfe, dann führe ich mein System ad absurdum.
Überhaupt ist graphisch alles im Eimer. Natürlich kann ich mit hochweißem oder leicht angegrautem, sehr hellem Hintergrund arbeiten, der alten Seite hat das gut zu Gesicht gestanden. Dann muß ich dieser etwas aufdringlichen Helligkeit aber eine relativ kompresse Typographie entgegensetzen, es soll ja nicht alles hell erscheinen. Die Grundgesetze unseres Auges sind bei der neuen Webseite gröblich mißachtet worden - es ist, auch wegen der vielen hellen Freiräume,
alles seltsam flatterhaft, verflatternd, ungefähr geraten,
wie einzelne weiße Fähnchen, deren Beschriftung längst verblaßt ist, wir sehen aufdringliche rote Überschriften-Teile und einen zusammenhanglosen blassen Textteil, genauer - Fragmente, Textstummel.
Das alles immer unter dem prominenten, aufdringlichen Gerüst der 28 Registerkarten.
Man kann in solch optisch ganz unbefriedigenden Situationen zu einem letzten Mittel greifen und durch straffe Linien- und Kästchengestaltung Stützen in das baufällige, sieche Gebilde einziehen. Dieses Verfahren ist hier durch potthäßliche Verunstaltung ad absurdum geführt worden: Durchgezogene Linien wechseln mit jenen gefürchteten gepunkteten Linien, die schnittmustergleich fast immer irritierend wirken, was man bei manchen Bücherdatenbanken sehr schön beobachten kann.
Die Grundgliederung in eine breitere linke und eine schmalere rechte Spalte wirkt seltsam unharmonisch, keine Rede von goldenem Schnitt. Die beiden Spalten sind zu nah, zu hart aneinandergesetzt, seltsame, geradezu manisch angeordnete Grau-Unterlegungen (natürlich im Leichenhallen-Violetthellgrau) verschlimmern das optische Chaos noch. Hier durften sich die Kinder im Vorschulgarten austoben - oder wie soll der Leser den Wechsel von roten und schwarzen Überschriften in den beiden Spalten anders interpretieren?
"Service" und "Navigationsübersicht" am Fuß der Seite sind dann nur noch peinlich - formal und inhaltlich schlechteste Schusterei, mies unter aller Kritik.
Wir wissen schon, was der Unglückswurm sich bei der Konzeption gedacht hat. Durch eine "bunte Mischung" der Beiträge soll die Seite werbefreundlich gestaltet werden, soll der Leser die Seite als bunten Fleckerlteppich empfinden, in dem er sich gern aufhält. In dieser Seite aber hält er sich nicht auf, er ergreift die Flucht.
3.
Hier sollte sich eine inhaltliche Analyse der neuen Webseite anschließen, wir kenne ja nun die vielfältigen Arbeitsbereiche des Börsenvereins ganz gut und wissen aus jahrelanger Lektüre, was für Arten von Informationen und Beiträgen zu welchem Thema wie oft zu erwarten sind. Gemessen an der Gewichtung der praktischen Arbeit der Buchhändler, Verleger, Antiquare usw. sind die ärgsten Mängel des neuen Konzepts auf der inhaltlichen Seite zu suchen, im Bereich der sachlichen Anordnung, der thematischen Gestaltung, kurz der Fachinformation.
Hieran vor allem wird das neue Seitenkonzept gemessen. Der fachbezogene Leser will jene ehrliche, übersichtliche Information, die ihm formal und thematisch die alte Webseite geboten hatte.
Mein Gesamturteil lautet: Formal geschmäcklerisch, graphisch eine Zumutung, journalistisch seltsam kindlich und unbeholfen, verwirrend. Thematisch und in der sachlichen Gliederung, bezogen auf die Nutzung durch Fachleute, eine einzige Ungeschicklichkeit.
B.
Bei der Darstellung, bei Lesen einzelner Berichte, wenn der Leser also sozusagen am Ziel angekommen ist, fallen ins Auge die folgenden Punkte:
a)
Auch wenn eine gemäßigte Form des seit den diversen Eurobuch-Sünden bestgehaßten "arteriellen Blut-Rot" angewendet wird, es bleibt doch eine aufdringliche Warnfarbe, die in dieser Art völlig unangemessen erscheint. Die roten Überschriften stehen, wie es nun einmal im Antiquariatsbereich der Fall ist, in aller Regel über recht drögen, eher langweiligen, sachlichen Themen, die alles vertragen, nur nicht die "Aufwertung" durch blutrote Überschriften.
b)
Der allzu reichliche Zeilenabstand läßt den Nutzer scrollen, was dieser eher nicht liebt, vor allem aber muß das Mausrädchen für Fachtexte bemüht werden, die gut und gern in einem Blick, auf einer Bildschirmseite gelesen werden könnten und sollten. Vor allem auch deshalb, weil die meisten Meldungen, daran scheint sich nichts geändert zu haben, zu knapp, zu kurz, zu wenig ausführlich sind, siehe etwa die Seite zu den Schweizer Digitalisierungen. Dieses Thema ist doch für unsere Tagesarbeit und (leider) auch für die Strategie unseres Gewerbes hochwichtig als *Prinzip* - aus diesem Thema kann und muß sehr viel gelernt werden für das Antiquariat.
c)
Wirklich quälend ist hier nun, beim Lesen des Einzelberichts, die beibehaltene Drittelung der ganzen Seite. Ich bin durch die rechts stehenden Zusatzangaben - für sich genommen sind sie ja durchaus nützlich - nur gestört. Das muß ganz anders gelöst werden. In der jetzigen Form
*verliert sich das Auge beim Lesen des Beitrags
nach rechts, beständige Bemühung ist erforderlich, um den Lesefluß des Beitrags links einzuhalten. Wobei wieder rechts, wir sagten es schon, die Manie des "freien Raumes", das Zuviel an weiß, stört. Hätten wir rechts z.B. einen eng gesetzten dunklen Text (wovor uns Gott behüten möge), wäre die Störung beim Lesen des linken Textes dennoch weniger lästig als eben durch die weißen Felder rechts.
d)
Die Gleitwerbung oben ist frech. Ich konnte sie bisher nicht besprechen, weil ich einen Werbeblocker benutze. Was, bitte, soll in dem armen Leser vorgehen, der unter raffiniert gleitender und zuckender Werbung den Sachbeitrag lesen will? Überhaupt wirkt jede Werbung, auch das kleine Kästchen für den Kollegen Reiss, auf der hochweißen Einfarbigkeit sehr störend, aufdringlich, unanständig. Natürlich muß Werbung sein, in dieser graphischen Situation aber eher fein dosiert.
Für die Verwendungsmöglichkeit des Fotos "Gestern in Frankfurt - Die neue Webseite ist fertig!" danken wir dem Schweizer Fernsehen, das die Urheberrechte daran besitzt.
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