Donnerstag, 18. März 2010

Die Neugestaltung von börsenverein.net



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Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder. Eine Webseite, die veröffentlicht wird, die sich dem Leser zumutet, darf und soll auch durch ihr Opfer, den Leser, beurteilt werden.




A.
Nota: Ausgegangen wurde hier von der Situation nach dem Aufruf der Registerkarte "Nachrichten"

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1.
Bisher langweilte uns die Börsenblatt-Webseite als trockenes, womöglich allzu vertrautes, übersichtliches Informationsmittel. Die alte Tante börsenblatt.net wurde zwar im Lauf der Zeit aufgehübscht, es gab Wort-Wolken, die uns überraschende, freilich auch blödsinnige Informationen vermittelten über die Zusammenhänge zwischen Statistik und Sinn im Arbeitsbereich des Buchhandels, allerlei Seltsames wurde versucht, etwa die stolze Präsentation mehr gutgemeinter als ausgereifter Schülerarbeiten an prominenter Stelle als eine Art verunglückter Wiki, ein fast nie benutztes Dialogsystem hoffte, sich eines Tages zum Dialogforum zu entwickeln, in Farbe und Gestus überwiegend peinlich zurechtgemotzte Fotos gab es, zwang- und sieghaft lächelnde, optimistische und manipulierende Portraits - aber das ganze war doch übersichtlich, seriös, von Ausnahmen abgesehen gescheit formuliert und in einem tieferen Sinn anständig - kurzum: Eine vernünftige, keineswegs nur mittelmäßige, in ihrer Art durchaus liebenswerte Informationsseite.

Ich habe sie täglich besucht und mußte dies kaum einmal bedauern.

Dergestalt liebgewonnene Plätze möchte man nicht gern verändert wissen. Wenn eine altgewohnte Webseite dann aber doch von Grund auf umgebaut wird, dann schauen wir genau hin, probieren die neuen Stühle aus und prüfen den Kaffee aus der neuen Maschine mit Bedacht.

2.
Das neue börsenblatt.net ist, gemessen an den stillen Revisionswünschen des Lesers, eine Katastrophe.

Mit diesem Urteil könnte man es bewenden lassen. Es mag sich aber lohnen, einige Gründe aufzudröseln. Ans Werk.

Im Kopf werden wir mit 19 (neunzehn) fett und prominent gedruckten Registerkarten beglückt, dazu kommen, wir befinden uns immer noch im Seitenkopf, 9 graphisch etwas zurückgenommene zusätzliche Register-Taben. Noch ehe wir zum Lesen des ersten Artikels gelangen, quält sich unser Auge durch 28 anklickbare, auszuwählende Bereiche.

Über ein Drittel der gesamten Webseitenfläche beim ersten Aufruf der (stets ja doch als erste angeklickten) Registerkarte "Nachrichten" ist so durch Titel und Registertaben verschenkt, zugemüllt, vertan.

Man kann mit der Methode des "Anreißens" arbeiten, also mit kurzen Appetithäppchen den Inhalt der Meldungen erst einmal in Kurzform hersetzen und darauf vertrauen, daß der Leser diejenigen Beiträge, die ihn persönlich interessieren, zum weiteren Lesen anklicken und aufrufen wird. Wer gewillt ist, sich als Redakteur eine Minute Zeit zu nehmen, wird den Inhalt oder Gehalt des Artikels in Kurzform herüberbringen - wem auch das noch zuviel Aufwand erscheint, wendet gar jenes quälende Verfahren an, einfach den Anfang des Textes mechanisch zu bringen, garniert mit den ominösen drei Pünktchen und dem Hinweis "zum Weiterlesen bitte hier klicken". Hier wird eine mildere Form solcher Quälerei angewendet - stur ist nämlich jedem Beitrag eine Zusammenfassung vorangestellt, seltsam ungeschickt, wie im Deutschaufsatz mit der Vorgabe "Jeder Schüler soll am Anfang seines Aufsatzes in zwei Sätzen den Inhalt zusammenfassen. Erst dann darf mit dem Beitrag begonnen werden".

Das kann man so machen, wenns denn sein muß. Aber durch die übergroßen roten Überschriften wird solch übersichtliches, wenn auch langweiliges und stures Vorgehen konterkariert. Der Vorteil solcher "teaser" soll doch die Möglichkeit einer *schnellen* ersten Information, eines Überblicks sein! Wenn ich aber durch Anwendung völlig absurder Typographie und Graphik nur gerade einmal mit 2 (zwei) Artikeln auf der ersten Bildschirmseite beim Leser anklopfe, dann führe ich mein System ad absurdum.

Überhaupt ist graphisch alles im Eimer. Natürlich kann ich mit hochweißem oder leicht angegrautem, sehr hellem Hintergrund arbeiten, der alten Seite hat das gut zu Gesicht gestanden. Dann muß ich dieser etwas aufdringlichen Helligkeit aber eine relativ kompresse Typographie entgegensetzen, es soll ja nicht alles hell erscheinen. Die Grundgesetze unseres Auges sind bei der neuen Webseite gröblich mißachtet worden - es ist, auch wegen der vielen hellen Freiräume,

alles seltsam flatterhaft, verflatternd, ungefähr geraten,

wie einzelne weiße Fähnchen, deren Beschriftung längst verblaßt ist, wir sehen aufdringliche rote Überschriften-Teile und einen zusammenhanglosen blassen Textteil, genauer - Fragmente, Textstummel.

Das alles immer unter dem prominenten, aufdringlichen Gerüst der 28 Registerkarten.

Man kann in solch optisch ganz unbefriedigenden Situationen zu einem letzten Mittel greifen und durch straffe Linien- und Kästchengestaltung Stützen in das baufällige, sieche Gebilde einziehen. Dieses Verfahren ist hier durch potthäßliche Verunstaltung ad absurdum geführt worden: Durchgezogene Linien wechseln mit jenen gefürchteten gepunkteten Linien, die schnittmustergleich fast immer irritierend wirken, was man bei manchen Bücherdatenbanken sehr schön beobachten kann.

Die Grundgliederung in eine breitere linke und eine schmalere rechte Spalte wirkt seltsam unharmonisch, keine Rede von goldenem Schnitt. Die beiden Spalten sind zu nah, zu hart aneinandergesetzt, seltsame, geradezu manisch angeordnete Grau-Unterlegungen (natürlich im Leichenhallen-Violetthellgrau) verschlimmern das optische Chaos noch. Hier durften sich die Kinder im Vorschulgarten austoben - oder wie soll der Leser den Wechsel von roten und schwarzen Überschriften in den beiden Spalten anders interpretieren?

"Service" und "Navigationsübersicht" am Fuß der Seite sind dann nur noch peinlich - formal und inhaltlich schlechteste Schusterei, mies unter aller Kritik.

Wir wissen schon, was der Unglückswurm sich bei der Konzeption gedacht hat. Durch eine "bunte Mischung" der Beiträge soll die Seite werbefreundlich gestaltet werden, soll der Leser die Seite als bunten Fleckerlteppich empfinden, in dem er sich gern aufhält. In dieser Seite aber hält er sich nicht auf, er ergreift die Flucht.

3.
Hier sollte sich eine inhaltliche Analyse der neuen Webseite anschließen, wir kenne ja nun die vielfältigen Arbeitsbereiche des Börsenvereins ganz gut und wissen aus jahrelanger Lektüre, was für Arten von Informationen und Beiträgen zu welchem Thema wie oft zu erwarten sind. Gemessen an der Gewichtung der praktischen Arbeit der Buchhändler, Verleger, Antiquare usw. sind die ärgsten Mängel des neuen Konzepts auf der inhaltlichen Seite zu suchen, im Bereich der sachlichen Anordnung, der thematischen Gestaltung, kurz der Fachinformation.

Hieran vor allem wird das neue Seitenkonzept gemessen. Der fachbezogene Leser will jene ehrliche, übersichtliche Information, die ihm formal und thematisch die alte Webseite geboten hatte.

Mein Gesamturteil lautet: Formal geschmäcklerisch, graphisch eine Zumutung, journalistisch seltsam kindlich und unbeholfen, verwirrend. Thematisch und in der sachlichen Gliederung, bezogen auf die Nutzung durch Fachleute, eine einzige Ungeschicklichkeit.


B.

Bei der Darstellung, bei Lesen einzelner Berichte, wenn der Leser also sozusagen am Ziel angekommen ist, fallen ins Auge die folgenden Punkte:

a)
Auch wenn eine gemäßigte Form des seit den diversen Eurobuch-Sünden bestgehaßten "arteriellen Blut-Rot" angewendet wird, es bleibt doch eine aufdringliche Warnfarbe, die in dieser Art völlig unangemessen erscheint. Die roten Überschriften stehen, wie es nun einmal im Antiquariatsbereich der Fall ist, in aller Regel über recht drögen, eher langweiligen, sachlichen Themen, die alles vertragen, nur nicht die "Aufwertung" durch blutrote Überschriften.

b)
Der allzu reichliche Zeilenabstand läßt den Nutzer scrollen, was dieser eher nicht liebt, vor allem aber muß das Mausrädchen für Fachtexte bemüht werden, die gut und gern in einem Blick, auf einer Bildschirmseite gelesen werden könnten und sollten. Vor allem auch deshalb, weil die meisten Meldungen, daran scheint sich nichts geändert zu haben, zu knapp, zu kurz, zu wenig ausführlich sind, siehe etwa die Seite zu den Schweizer Digitalisierungen. Dieses Thema ist doch für unsere Tagesarbeit und (leider) auch für die Strategie unseres Gewerbes hochwichtig als *Prinzip* - aus diesem Thema kann und muß sehr viel gelernt werden für das Antiquariat.

c)
Wirklich quälend ist hier nun, beim Lesen des Einzelberichts, die beibehaltene Drittelung der ganzen Seite. Ich bin durch die rechts stehenden Zusatzangaben - für sich genommen sind sie ja durchaus nützlich - nur gestört. Das muß ganz anders gelöst werden. In der jetzigen Form

*verliert sich das Auge beim Lesen des Beitrags

nach rechts, beständige Bemühung ist erforderlich, um den Lesefluß des Beitrags links einzuhalten. Wobei wieder rechts, wir sagten es schon, die Manie des "freien Raumes", das Zuviel an weiß, stört. Hätten wir rechts z.B. einen eng gesetzten dunklen Text (wovor uns Gott behüten möge), wäre die Störung beim Lesen des linken Textes dennoch weniger lästig als eben durch die weißen Felder rechts.

d)
Die Gleitwerbung oben ist frech. Ich konnte sie bisher nicht besprechen, weil ich einen Werbeblocker benutze. Was, bitte, soll in dem armen Leser vorgehen, der unter raffiniert gleitender und zuckender Werbung den Sachbeitrag lesen will? Überhaupt wirkt jede Werbung, auch das kleine Kästchen für den Kollegen Reiss, auf der hochweißen Einfarbigkeit sehr störend, aufdringlich, unanständig. Natürlich muß Werbung sein, in dieser graphischen Situation aber eher fein dosiert.





Für die Verwendungsmöglichkeit des Fotos "Gestern in Frankfurt - Die neue Webseite ist fertig!" danken wir dem Schweizer Fernsehen, das die Urheberrechte daran besitzt.