Absatzförderung und Arbeitstechnik im Altbuchhandel, einer werten Kollegenschaft auseinandergesetzt von Peter Mulzer
Freitag, 26. März 2010
Zur Situation im Antiquariat
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In diesem Blog, dessen letzten Beitrag Sie heute lesen, haben wir manchen Kampf ausgefochten. Im Rückblick bin ich über Form und Inhalt nicht sehr glücklich.
Manche Aktionen waren nützlich, hatten auch Spaß gemacht, etwa wenn es über das unsägliche Geschmiere und die gesammelten Ungeschicklichkeiten mancher Bücherdatenbanken ging oder wenn ich zu klagen hatte über nach meiner Einschätzung ebenso eingebildete wie uninspirierte Akteure ("ich mach was mit Büchern"), über sträflich verpaßte Chancen, etwa das flott aus der Taufe gehobene, aber inzwischen nahezu verhungerte Kindlein des RFMeyerschen "Angebots-Bündnisses", über das seit Jahren, wiederum nach meiner Einschätzung, unter einem fast schon magisch anmutenden Unstern stehende Prolibri-Datenbankprojekt, über krasse Unmöglichkeiten in der Branche wie etwa das Verhehlen und Verhökern der Auktionsergebnisse mit dem Segen eines hier nicht zu nennenden Berufsverbandes.
Es gab auch Grenzfälle zuhauf, wo es mir besser angestanden hätte, kürzer zu treten. Dies gilt besonders für jenen seltsamen uralten Judaica-Beitrag Björn Biesters, den dieser selbst ausgegraben hatte und den beide Teile vernünftigerweise hätten mit Schweigen übergangen haben sollen. Andere Themen sind nach wie vor aktuell und ticken als brandgefährliche Zeitbomben unter den Trümmern, das gilt etwa für das Amazon-Abebooks-Zukunftsszenario, auf Deutschland bezogen; auch für Spezialthemen wie die Gesetzgebung zur Jugendpornographie, mit deren konsequenter Anwendung immer noch jedes zweite Antiquariat zur tagelangen Durchsuchung offenstände, oder, man verzeihe mir die Schlichtheit der Überlegung, für die mit Sicherheit kommende Abschaffung des Büchersendungsportos.
Bevor ich die in der Überschrift versprochene Geburtsanzeige einreiche, nutze ich die Gelegenheit zu einer Übersicht über die aktuelle Lage des Antiquariats aus meiner Sicht.
Ich glaube es war Kollege Hohmann in Stuttgart, übrigens ein grundgescheiter Antiquar, welcher seine Texte nur leider eher verbirgt als veröffentlicht, der anschaulich von Antiquaren berichtet, die ihre Krankenversicherung nicht mehr bezahlen können. Wir haben in allen Foren Kollegin Rathjen vom Dienst, die jedem, der lesen kann, schonungslose Einblicke in eine Sonderwelt des Antiquariats vermittelt. Es gibt Vertreter unseres Gewerbes, die mit Rezepten aus der Mottenkiste der Betriebswirtschaft anrücken, siehe den Kollegen Weinbrenner, um den es recht still geworden ist. Betriebswirtschaftliche Überlegungen sind sinnvoll im Bereich des "Gebrauchtbuchs", das meist neueren und neuesten Datums ist und das ähnlich wie Damenstrümpfe oder Medikamente beschrieben und ausgeliefert werdenkann. Sie haben sich ansonsten im Antiquariat nicht bewährt.
Noch mehr enttäuschen uns die Theoretiker, aus deren Reihen sich unlängst Kollege Helmer Pardun geäußert hat, er kommt wie ich aus der Hauptfach-Soziologie und so kann ich einigermaßen sachkundig nur mit dem Kopf schütteln und ihn bitten, das Theoretisieren im Stil seines "Partizipativen Antiquariats" lieber zu unterlassen. Das sind Holzwege, nicht nur weil keiner, der nicht Soziologe ist, ihn überhaupt verstehen kann.
Das wirkliche Hindernis für einen Fortschritt im Bereich unseres Gewerbes liegt heute offener zutage als noch vor einigen Jahren: "Les extrèmes se touchent" , die inneren Gegensätze sind dramatisch groß.
Dem kleinen Kistenschieber, der rührend bemühten Hausfrau (nicht nur) aus dem wilden Osten unserer Republik, leicht zu ermitteln im ZVAB anhand der unsäglichen Stichworte "Hardcover, berieben, Autorenkollektiv", steht der saturierte, wohlgeordnete, arrondierte Kollege des oberen Mittelfelds gegenüber. In aller Regel gescheite, sachkundige Leute mit ordentlicher Steuererklärung, mit Frau und Kind und mehreren Verbandsmitgliedschaften, gut gefülltem Lager und hart erarbeiteter Kundenkartei. Darüber dann der Olymp jener 40-50 Spitzenantiquare, die unter sich bleiben und mit dem Volk der gewöhnlichen Antiquare nur nach Bedarf Kontakte unterhalten.
Was ich hier anekdotisch aufzähle, hat in Wahrheit katastrophale Folgen für die Gesamtsituation des Antiquariats - heute mehr denn je zuvor.
Fast alle Berufs- und Zukunftsfragen stellen sich für die drei Schichten im Antiquariat unterschiedlich dar:
- Kistenschieber, Gebrauchtbuchlieferanten, überwiegend zur Versorgung solcher Kunden, die das Buch vom Sachthema her oder als Ersatz für (zu) teure Neutitel kaufen,
- Rundum-Antiquare, ob mit Laden und/oder Versand, die das ganze Spektrum bearbeiten, thematisch, vom Buchwert her, was die Vertriebswege betrifft, die Kunden vom Edelsammler bis zum Billigbuchstudenten beliefern,
- Spitzenantiquare, die ganz überwiegend gehobene Fachgebiets- und Allgemeinsammler als Kunden haben.
Das ist offenkundig, jeder kann sich Beispiele ausdenken, und natürlich gibt es viele Zwischenformen und Kombinationen. Was aber doch zu beobachten bleibt, ist die erstaunliche Verschiedenheit der Interessen, wenn es um wichtige Diskussionen geht.
Wie wollen wir derart unterschiedlich interessierte Leute denn zusammenbringen zu gemeinsamem Handeln für "ihre Interessen", wenn die einen Messefragen in Dubai oder Zürich diskutieren, die anderen den Absatz von guterhaltenen Werken der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft über Amazon oder Booklooker, zu 5 Euro oder doch lieber zu 4,99 Euro?
Locker vom Hocker herab formuliert - die Redensart geht vom alten Bibliothekaren-Steh-Stühlchen aus und paßt hier - läßt sich sagen:
- die Spitzenantiquare können ihre exquisite Fach- und Allgemeinsammlerkundschaft nur sehr begrenzt erweitern. Für sie spielen Konjunkturfragen eine Rolle: Was ist gerade in Mode, wieviel freies Geld hat die Kundschaft, nimmt sie Wertanlagen vor, kommen Bibliotheken und Archive wieder zu Ankaufsetats für teure Titel, wie steht der Dollarkurs, und dergleichen Fragen mehr, die im unteren Feld gar nicht, im Mittelbereich eher wenig interessieren.
- das untere Antiquariat belegt mit seinen Sorgen ein uns klassischen Antiquaren sehr ungewohntes Feld, das des reinen Versandhandels. Lagerhaltung, Ankauf, Verkaufs- und Gewinnmargen müssen dort sehr nüchtern, sehr hart diskutiert werden.
- das mittlere Antiquariat, man ist versucht zu sagen, das "normale" Antiquariat, hat eine seltsame Spagatstellung inne. Es muß sich sowohl um den Sachbereich der Spitzenantiquare kümmern als auch die Niederungen des unteren Versandgeschäfts mit bearbeiten.
Wer immer bisher versucht hat, eine Aktion für "die Antiquare" auf die Beine zu stellen, ist mehr oder minder jämmerlich gescheitert. Das gilt bei näherem Hinsehen auch für die - an sich so löblichen - Schulungsversuche des Börsenvereins, von den lächerlichen "Kammerprüfungen" unseres Gewerbes ganz zu schweigen. Auch meine etwas schief geratene Kritik am neuen Konzept des Börsenblatts hatte als Hintergrund die Vorstellung, es müsse aus Frankfurt ein Diskussions-, Nachrichten- und Bildungsforum geben für "die Antiquare".
Ich sehe auch bei dem nun allerdings wirklich ärgerlichen und peinlichen Schicksal des RFMeyerschen "Webseitenverbunds" als Ursache die Eingrenzung auf viel zu eng gefaßte Typen bestimmter Versandantiquariate. Daß die Genossenschaft auf keinen grünen Zweig kam, liegt ähnlich begründet - die Eintrittshürde war viel zu hoch gelegt worden, nicht nur finanziell. Und in der Abschottung des Verbands gegenüber den kleinen und mittleren Kollegen liegt ein gutes Maß, wie ich glaube, gewollter Geheimniskrämerei und Distanzierung. Anders ist etwa der ILAB-Skandal nicht erklärbar.
An dieser Stelle der Überlegungen darf ich nun zur versprochenen Geburtsanzeige kommen.
Formal betrachtet ist es notwendig, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der für alle Schichten unseres Gewerbes sinnvoll, wichtig und nützlich sein kann.
Wir wissen, daß im unteren und mittleren Feld eine dramatische Absatzschwäche seit einer Reihe von Jahren zu beklagen ist. Wir sitzen auf Millionen von Titeln, die anscheinend dauernd unverkäuflich sind. Ich spreche nicht von "Boehn, der Tanz" oder "Ludwig, Goethe" und anderen Schrecknissen, sondern von einem nach Millionen zählenden Berg an sich ordentlicher, nicht allzu häufiger, im mittleren Rahmen ausgepreister und halbwegs vernünftig beschriebener Bücher.
Heute können wir davon ausgehen, daß der Standardverdacht aller Antiquare, die unzulängliche Gestaltung und Verbreitung der Bücher-Verkaufsdatenbanken sei Schuld an unseren nicht abgetragenen Bücherbergen, keine große Rolle mehr spielt. Der Kunde, der übers Netz einen Titel finden will, hat sehr einfache und schnell zugängliche Informations- und Kaufmittel. Dies und das wäre nachzubessern, aber zentral ist die Datenbankfrage nicht mehr. Vor drei, vier Jahren sah das noch anders aus.
Wir brauchen auch nicht unbedingt bessere Titelaufnahmen, auch Fotos/ Scans sind vom Zeitaufwand her kaum kalkulierbar und für Durchschnittsware nur von begrenzter Nützlichkeit. Alles das sind hübsche Sächelchen zur Beruhigung und Beschäftigung der Antiquare - - aber keine Lösungen.
Kernthese:
Wir müssen das Sammeln alter Bücher generell, auf breiter Ebene, mit großem Propagandaaufwand wieder populär machen, besonders auch bei jüngeren Leuten. Altbuchsammeln muß einerseits als Modebewegung "in" werden, zum anderen aber brauchen wir eine gründlicher und tiefer angelegte Motivierung der Leute zur Erweckung einer "Liebe" zum alten Buch.
Beides möchte ich nicht voneinander trennen wollen. Wir dürfen uns, um das oben gesagte zu wiederholen, nicht zu schade sein, auch "Trends" zu einem m o d i s c h e n Sammeln alter Bücher anzuregen, zugleich aber haben wir sehr ernsthafte Gründe und Motive zur L i e b e zum alten Buch zu erwecken.
Dabei können wir (fast) keine Anleihen machen bei der allgemeinen Betriebswirtschaft. Auch helfen uns soziologische Regelwerke nicht weiter, schon gar nicht führt uns die in Zeiten der Ratlosigkeit immer so gern bemühte Tante "Statistik" da auf den rechten Weg. Wir brauchen eine I m a g e w e r b u n g, die die positiven, wünschbaren Aspekte des Altbuch-Sammelns hervorhebt. Das werden in der Regel alte, ja sogar uralte Motive sein, die wir ins Moderne, in die Gegenwart übertragen müssen:
W a s bitte genießt denn der Sammler, der abends ans Regal geht und seine Reihe alter Bücher mustert? Das, mit Verlaub, Gesäusel mancher Blogger in dieser Hinsicht läßt sich hier für einmal gut verwerten - "erschauert" der Sammler wirklich bei bestimmten Titeln, wenn er die Inkunabel in der Hand hält, wenn sich das Inselbändchen, das langgesuchte, findet? Wir werden Anregungen vom Briefmarkensammeln her aufgreifen und etwa im "Namen der Rose" Ideen für modernste Altbuchliebe entdecken.
Es handelt sich also darum, das Altbuchsammeln
*in allen seinen Wert- und Sachgruppen, bezogen auf
*alle Bildungs-, Berufsgruppen,
zu erfassen und in Verbindung zu bringen etwa zur
*Wohnkultur, zur
*Sammelleidenschaft, zur
*Freizeitgestaltung.
Dieses B ü n d e l neuer Altbuch-Sammel-Images sollten wir nun gemeinsam entwerfen und diskutieren.
Soweit die Geburtsanzeige - der Absatz im Antiquariat soll angekurbelt werden durch ein neues I m a g e des Altbuchsammelns. Das kann auch ein Image-Bündel sein, muß aber immer (auch) eine bestimmte Botschaft transportieren.
Für das Bild danken wir wieder einmal der VS Krems-Lerchenberg, der die Urheberrechte gehören