Montag, 24. August 2009

Imageprobleme im Antiquariat oder: Auch ich ein Edelantiquar






Eigentlich will ich über die Heranbildung/ die "Anfütterung" neuer Käuferschichten für die gut 1000 deutschen Antiquare schreiben. Aber vor die Sachdiskussion haben die Götter ein wenig Systematik gesetzt. - Zuhanden der meisten Leser müssen wir zunächst einen kleinen Vorkurs einschalten. Noch dazu gibt es, als Matrjoschka in der Babuschka, eine Vorbemerkung speziell zur Lage der Antiquare im abgeschotteten deutschen Sprachgebiet.

Im kleinräumigen Feld der Edel- und Messeantiquare gelten viele Gesetze und Regeln anders, nur abgeschwächt oder gar nicht, die im großen allgemeinen Bereich des Buchantiquariats bestimmend sind.

Das ist ein ungeheuer wichtiger Gesichtspunkt, dessen Mißachtung das deutsche Antiquariat treu und hartnäckig begleitet wie die Laus den Landser, als Quelle unendlichen Ärgers. Auch in der gestrigen Börsenblatt-Biester-Diskussion (die schon längst wieder vergessen ist, nur Google merkt sich sowas getreulich, videant consules) stand diese Frage im Mittelpunkt, ohne daß ich allzuviel darauf herumgeritten wäre.

Denn Redakteur Biester vom Börsenblatt ist der Idealtyp, der jene kleine Gruppe der Edel-, Messe- und Versteigerungsantiquare, ihrer Kunden und Liebhaber repräsentiert wie kein anderer. Aus solcher im Gesamtüberblick über das Gewerbe schiefen Sicht des "Antiquariats" entstehen fast alle Irrtümer und Versäumnisse, deren sich das Börsenblatt publizistisch schuldig macht. Wie das?

Der bibliophile Büchersammler, der messe- und edelwarengängige Spitzenantiquar bearbeitet ein Feld, betreut eine Warengruppe und hat es mit Kunden zu tun, für die, wir sagen es noch einmal,

***weitgehend andere Regeln, andere Imagefragen, andere Umgangs- und Präsentationsformen gelten

als für die 95 % Waren und Kunden des nicht-bibliophilen Antiquariats. Weder die sonst so quälende regionale Eingrenzung auf das deutsche Sprachgebiet ist im Edelbereich besonders tragisch - echte Bibliophilie war und ist immer auch international. Die kleine Schicht dieser Kunden stößt sich weder an der Frakturschrift noch fremdelt sie bei englischer Jugenstilgraphik. Sekundärliteratur in französischer, jedenfalls aber in englischer Sprache stellt sie sich gern ins Regal. - Ähnlich grenzüberschreitend sind die Handels- und Kollegenbeziehungen im Edelbereich - - oder sollten es doch sein (bei näherem Hinsehen tun sich da freilich Abgründe auf, die internationale Zusammenarbeit der Antiquare findet, von einem winzigen Grüppchen echter Durchblicker und Könner abgesehen, von Deutschland aus kaum statt - hohler Selbstbetrug und Faulheit machen sich breit, indem nicht stattfindende Kooperation großmäulig plakatiert wird. Die kleine Schar niederländischer Antiquare tut und weiß da mehr als der ganze große Troß deutscher Möchtegern-Internationalisten. Nicht ärgern, Mulzer, alle Kollegen wissen das, aber müssen Sie das dann auch - sagen?).

Das wäre ja nun eine natürliche Sache. Schon ein Rundgang durch die Versteigerungen zeigt, daß es ein internationales Feld der Bibliophilie gibt. Wo liegt nun aber der Haken bei der Geschichte?

- Dieses kleine Grüppchen der wirklichen, echten, sachkundigen und mit entsprechender Ware versehener Antiquare (und Versteigerer) gibt publizistisch gesehen den Ton an.

Nicht nur in der einzigen Fachzeitschrift (das unsägliche zugestaubte Sofa "Aus dem Antiquariat", aus dem die Motten auffliegen, wenn man sich nähert, ist das Musterbeispiel dafür), sondern auch im bisher nicht besonders glücklichen Versuch, einen aktuellen Netzdienst zu etablieren ("börsenblatt.net/Abteilung Antiquariat"), nein, es sind auch die meisten Kollegenblogs und die hochwichtigen Feuilletons unserer überregionalen Zeitungen, die Literaturbereiche bei Rundfunk und Fernsehen, die unter dem Begriff des Antiquariats sich vornehmlich vorstellen - - das bibliophile Antiquariat im klassischen Sinn.

Der Anbeter dieses verqueren, weltfremden Antiquariatsbilds, sein erster Priester ist, wie wir nun zur Genüge wissen, Björn Biester vom Börsenverein.

Die Sache ist ja wirklich kompliziert. Denn wir müssen uns dann doch fragen, wieso die Antiquare selber ein derart falsches, einseitiges, schiefes Bild ihrer Alltagsarbeit in der Publizistik zulassen? Die Antwort kommt aus dem Feld der Seelenkunde: Weil der Umgang mit und das Wissen über "klassische Bibliophilie" vermeintlich oder tatsächlich eine

*Aura verleiht

gerade auch dem kleinen und mittleren Büchertrödler, der nur selten bibliophiles Material zu bearbeiten hat.

Denn es blickt jeder kleinere Kollege insgeheim sehnsüchtig dem Tag entgegen, an dem auch er großes bibliophiles Material bekommen wird, er hat vor sich das Ziel, auch einmal Edelantiquar auf Messen, in der Kö oder am Kudamm zu sein. Also wird das Ziel internalisiert oder wie immer wir den komplizierten seelischen Vorgang nennen wollen, es wird die virtuelle, die Sehnsuchtsflucht unternommen in das höhere Reich des bibliophilen Antiquariats.

Man kanns ja verstehen. Der schwitzende Kistenschieber, der gelangweilte und geplagte Fronarbeiter beim Titeleingeben und Päckchenpacken - - auch er will sensitiv-ätherisch begrüßt werden auf der nächsten Frankfurter Messe von Björn Biester, auch sein Katalog, aus dem dann kein Schwein etwas kauft, soll immerhin durch die Quack verlegt und in der FAZ gepriesen sein, auch seine Handbibliothek, ebenso teuer wie im Nutzwert fragwürdig und fingerdick angestaubt im oberen Schnitt, sie soll doch dastehen, griffbereit, und ihn erinnern und mahnen: Auch Du in Italien...

Auch Du nimmst, wenn freilich noch so schäbig am Rande, doch teil am Raunen und Weben, am Glanz und Strahlen der hohen Bibliophilie.

So kommt es denn, daß die unteren und mittleren Kollegen sich entweder gar nicht zu äußern wagen in Foren oder Blogs, daß sie lammfromm die Edelantiquariats-Beweihräucherung Björn Biesters mitmachen oder doch schweigend hinnehmen - daß sie sich schämen, wenn Mulzer das Handtuch ihrer Selbsttäuschungen wegreißt und ihre Alltagswahrheit entblößt, die in trister, quälender, zumindest aber sinnarmer und mühsam abgehakter Serienarbeit besteht.

Die Edelantiquare nutzen das mit jener schönen Selbstverständlichkeit, die sich aus ihrer Naivität ergibt: Sie haben es ja geschafft, das klassische bibliophile Antiquariat ist ja wirklich und tatsächlich ihr Lebensraum, Sie lügen nicht. Also schreiben sie fröhlich und mit einer bemerkenswerten sozialen Blindheit über ihre erfolgreichen Abwicklungen, ihre schönen Titel, die ihnen wieder, womöglich "mit Handschlag", ins Haus getragen worden sind. Daß es aber 950 Kollegen gibt, denen es anders ergeht, das fällt den 50 Edelhäusern nicht einmal auf.

Kein Wunder, denn erstens sagen diese 950 Kollegen im eher nicht-bibliophilen Schatten keinen Ton, sie geben keinen Mucks von sich, weil sie sich ihrer (klassisch bibliophil gesehen:) Armseligkeit schämen. Scham aber, das wissen wir, ist eines der stärksten Motive im menschlichen Handeln.

So kommt es zu keiner echten Zusammenarbeit unter den Antiquaren, so gibt es weder Solidarität noch Verständnis füreinander. Eine verzweifelte Lage. Wer trägt Schuld?

Nur und in allererster Linie die wenigen, die es besser wissen könnten und müßten. Dazu gehöre ich, wenn ich das rührend-untaugliche Mittel meines Blogs nicht richtig einsetze - dazu gehört vor allen Dingen und allen voran Björn Biester. Er verfügt über das einzige wirklich mächtige Medium in unserem Gewerbe. Er erkennt die Situation.

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Dies alles war nicht etwa eine Fortsetzung des gestrigen Aufsatzes, sondern wirklich die Vorbemerkung zur Vorbemerkung des kommenden Textes, dem wir uns nun morgen erst widmen können, denn der Verfasser eilt jetzt zur Mensa. Gästeessen, vielleicht gibts eine Soljanka, passend zur freundlichen Matrjoschka, der wir oben begegnet sind.




Das Foto gehört magicworld.dk, bei der wir uns für die Ausleihe bedanken.