Dienstag, 5. Februar 2013

Antiquare: Börsenverein - stellen Sie unsere Handbibliothek ins Netz!


(Zur Frage der Handbibliothek des Antiquars - und seiner Kunden) 





Es gibt eine ganz erstaunliche Fülle an retrobibliographischen Schriften. Bei vielen bücherkundlichen Arbeitsvorhaben wird man den Eindruck nicht los, daß die aufgewendete Mühe des Forschens, Zusammenstellens und Druckens in keinem Verhältnis steht zur Bedeutung des behandelten Gebiets. Während Schriften zum tieferen Sinngehalt mager gesät sind, drängen sich bibliographische Sammelwerke, mehr oder minder mechanische Kompilierungen, auf engem Raum.

Uns Antiquaren ist die zugrundeliegende Mechanik nicht fremd. Menschen, besonders Männer, neigen zum Sammeln aus Freude am Tun, jenseits tieferer Erkenntnisse. Man kann Bücher, Verfasser, Beschreibungen von Druckwerken genauso gut in Schächtelnchen packen wie Bierdeckel oder Briefmarken. Ich würde hier nicht einmal Freud bemühen, sondern mir den Menschen der Urzeit vorstellen, der für den Winter  in seiner Höhle ansammelt, was er im Sommer erjagen konnte. Der hat sich am Anblick seiner Hasenfelle und Honigtöpfe ähnlich gelabt wie wir heute an den Regalen unserer bibliographischen Handbibliothek.

Abgesehen von solcher Sammelfreude sollten wir uns aber schon vor Augen halten, daß die Mehrzahl der bibliographischen Facharbeiten im Antiquariat unbedeutend, weitgehend selbstzweckhaft und aus einigem Abstand gesehen  s i n n l o s  erscheint. Auch deshalb, weil die modernen elektronischen Auskunfts- und Sammelsysteme von Tante Google über Worldcat bis zu den nationalen Sammelkatalogen im Netz immer besser und tiefer auch die Recherche kleingestrickter Sammel- und Interessensgebiete ermöglichen.

Ich gehe so weit zu sagen, daß viele der klassischen bibliographischen Werke nur noch im Regal stehen, weil die Nutzer noch nicht gelernt haben, mit schon vorhandenen anderen, meist übergreifenden elektronischen Netzsystemen umzugehen. Hätten sie die dazu notwendige Arbeitstechnik intus, könnten sie die fraglichen Handbibliotheksbände entsorgen, natürlich übers ZVAB zuhanden naiverer Gemüter.

Man wird die Frage der größeren Bibliographien in Buchform einzeln entscheiden müssen. Soweit sie  k o m m e n t i e r t  sind, gewichtet, ergänzt oder nach Untergruppen geschickt gegliedert, bleiben sie wertvolle Arbeitsmittel. Das dürfte unbestritten sein. In solchen Fällen wird man auch in der Titelbeschreibung des Antiquariatskatalogs auf die Fundstelle hinweisen, wenn (eine wichtige Einschränkung) das Werk in der betreffenden Bibliographie nicht schnell durch Register aufzufinden ist. Katalogverweise in Antiquariatslisten sollen nicht das rasche Nachschlagen in Registern erleichtern. Ich möchte einfach nicht damit aufgehalten werden, daß mich ein Antiquar belehrt, ein Titel von Sven Hedin oder Rilke sei in dieser oder jener Fachbibliographie aufgeführt.

*

Eine betrübliche Rolle spielt bei der Frage "Handbibliothek des Antiquars / des Büchersammlers" die Raffgier bestimmter Verleger. Ich habe mir eine Freude daraus gemacht, solche Produkte in den letzten Jahren etwas näher anzusehen, wenn Dr. Biester im Börsenblatt sie wieder einmal arglos vorgestellt hatte. Wer ganz überwiegend von der öffentlichen Hand finanzierte bibliographische Fachtitel kleinen bis mittleren Umfangs zu 150 oder 200 Euronen glaubt anbieten zu sollen als Verleger, der verdient kein Lob.

Ich vertiefe dieses betrübliche Kapitel nicht. Es vergiftet den Bereich unserer antiquarischen Hilfsmittel auch anderswo - mit dem ausdrücklichen Segen des Verbands der Antiquare verhökert eine Agentur die - in der Quelle öffentlich zugänglichen - Versteigerungserlöse zu hohen Abonnementspreisen im Netz. Antiquare und ihre Kunden als Milchkühe zu mißbrauchen, das ist nicht gut.

*

Ebenso spannend wie schwierig wird unser Thema, wenn wir zum Urheberrecht kommen. Viele der bibliographischen Hilfsmittel würden im Netz stehen und hurtig benutzt werden können, wäre da nicht ein viel zu lang laufendes, zu kompliziertes und mühsam abzugrenzendes Urheberrecht zu beachten. Es fehlt hier der Raum, um nur einmal auf jene Einzelheiten einzugehen, die mit der Tatsache verknüpft sind, daß urheberrechtsfreie, verwaiste, abgelaufene Titel nicht genau ermittelt werden. Eine gute Hälfte aller kleineren bibliographischen Schriften im Antiquariat, die jetzt noch pauschal als urheberrechtsgebunden behandelt werden, sind es juristisch und genau besehen nicht mehr, sie sind urheberrechtsfrei.

Wie betrüblich sich in Sachen "Handbibliothek" das Urheberrecht auswirkt, sehen wir an einem uns allen vertrauten Beispiel. Die Zeitschrift des Börsenvereins "Aus dem Antiquariat" hat vor einiger Zeit eine zwar unglücklich geordnete, dennoch aber hochinteressante Zusammenstellung der Aufsätze der letzten Jahrzehnte in diesem wichtigen Hausblatt des deutschsprachigen Antiquariats veröffentlicht, sie - die Zusammenstellung und  n u r  sie - ist mit einiger Mühe auch im Netz zu finden.

Hier haben, gegen bescheidenen Anerkennungslohn, hunderte exquisiter Sachkenner meist vorzügliche, oft sogar allzu wissenschaftliche, immer aber wichtige und gute Aufsätze zu bibliographischen Sachfragen des Antiquariats niedergelegt - eine einmalige Fundgrube. Denn hier sind keine öden Listen erstellt worden, sondern lebendige Zusammenhänge wurden aufgezeigt, der neueste Stand der Forschung bemüht, manche der Beiträge hätten unter der Hand gewisser Dokumentationsverleger zu Hundert-Euro-Büchern aufgeblasen werden können - wie auch immer, ein Schatz für den Antiquar und seine Kunden.

Die Bibliographie wurde erstellt, aber die zugehörigen Titel wurden nicht ins Netz gestellt. Die Situation des hungrigen Passanten, der die Torten zwar im Schaufenster sehen, sie aber nicht essen darf, ist einfühlbar. Wer hat schon die Reihe in seiner Handbibliothek stehen? Ich habe mit einigem Grauen gesehen, daß die komplizierte Erscheinungsweise unseres Berufsblatts - zunächst intermittierender, nicht auszutrennender Teil einer anderen Zeitschrift ("Börsenblatt"), dann sowohl separat zu beziehende wie auch weiterhin Bestandteil der Mutterzeitschrift seiende Unterzeitschrift, dann endlich zum selbständig erscheinenden Fachblatt mutierend -  dazu geführt hat, daß "Aus dem Antiquariat" in vielen Bibliotheken nur lückenhaft, problematisch oder gar nicht zu benutzen ist.

Schauerlich wird die Sache besonders dort, wo die Bibliothek uns einlädt, aus den gefühlten zehn Metern der - unglaublich schwergewichtigen - Mutterzeitschrift die schmalen Teile unseres Fachblatts "auszuheben". Wie auch immer, es ist eine praktisch-bibliographische Tragödie.

Welcher Segen, welcher Reichtum für alle antiquarischen Belange, wenn die mittleren und größeren Beiträge dieses Fachblatts separat abrufbar, nutzbar, kopierbar wären, wobei ich schnell hinzufüge, daß dies nicht als Abzock- und Schröpfmodell , sondern mit bescheidener Werbezugabe finanziert werden sollte.

Noch trauriger sieht es mit den Zugangsverhältnissen aus, wenn wir die Jahrzehnte seit 1900 betrachten - welche Fülle bibliographischer Aufsätze liegt brach, verborgen unter dem Schutt riesiger Neubuchhandels-Zeitschriften und/ oder behindert durch "dokumentarisch arbeitende" Verlage, eine besondere Spezies, wie wir oben schon gesehen haben.

Warum ist das so tragikomisch? Weil es nicht so sehr die großen, bekannten Buchwerke sind, die  I m p u l s e  für die Handbibliothek der Antiquare und ihrer Kunden geben könnten - nein, die guten, hochqualifizierten fachbibliographischen  A u f s ä t z e  der letzten hundert Jahre könnten weite Bereiche des Büchersammelns heute wieder neu beflügeln. Es wäre Sache des Börsenvereins des Buchhandels, hier mit gutem Beispiel voranzugehen und "Aus dem Antiquariat" im Netz freizugeben.

 

Die Urheberrechts der Bilder liegen bei faz.net bzw. taz.de und Disney. Ich danke für die Ausleihe. Bilder werden auf formlose Anforderung hin entfernt.